Zwei Angreifer
Hitler, Stalin und der Zweite Weltkrieg
Die neuesten, oft schockierenden Ergebnisse historischer Forschungen zwingen zu einer neuen Betrachtung grundlegender Fragen der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Daher gebührt Werner Maser, einem Experten für die Zeit des Nationalsozialismus, Anerkennung für seinen Beitrag zur Aufdeckung und Veröffentlichung bisher unbekannter Materialien zum Zweiten Weltkrieg. Diese grundlegenden sowjetischen Dokumente lagen bis 1990 als streng geheim in den Archiven und waren natürlich für historische Forschungen nicht zugänglich. Die Ergebnisse der neuesten Arbeiten von Prof. Maser wurden in seinem Buch „Der Wortbruch. Hitler, Stalin und der Zweite Weltkrieg“ (München, 1994), das sich mit der heiklen Frage der Entfesselung des deutsch-sowjetischen Krieges befasst. Die der Öffentlichkeit vorgelegten Quellenmaterialien werfen ein neues Licht auf die Ursachen des Kriegsausbruchs und leiten damit ein neues Kapitel der historischen Aufarbeitung der Vergangenheit ein. Diese Dokumente regen mit ihrer Aussagekraft zum Nachdenken über das Ausmaß und das Grauen der Katastrophe an, zu der die menschenverachtenden Ideologien des 20. Jahrhunderts geführt haben. Die neuesten, schockierenden Ergebnisse der historischen Forschung zwingen zu einer Neubearbeitung der grundlegenden Themen der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und zu einer Darstellung, die ihrem tatsächlichen Verlauf entspricht. Maser dokumentiert unter anderem die Umstände des Zustandekommens des Hitler-Stalin-Paktes, die synchron verlaufenden Kriegsvorbereitungen Deutschlands und der Sowjetunion und präsentiert detailliert die sowjetischen Pläne für einen Angriff auf die deutschen Truppen, die von Stalins Generälen ausgearbeitet wurden, aber von der Führung der Roten Armee nicht schnell genug umgesetzt werden konnten. Besonders überraschend ist die Tatsache, dass Hitler mit der Auslösung des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 Stalins nur kurz zuvor geplanten strategischen Angriff auf Deutschland nur knapp zuvorkam. Deutsche Historiker haben sich lange Zeit nicht mit den Fragen der Zusammenarbeit und Rivalität zwischen Hitler und Stalin befasst, aus Angst, dass ein Hinweis auf die Zusammenarbeit Stalins die Schuld Hitlers für den Kriegsausbruch relativieren könnte, was die pädagogischen Bemühungen zur Aufrechterhaltung des deutschen Schuldbewusstseins weiter erschweren und die friedliche Ostpolitik schwächen könnte. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind in Russland historische Arbeiten und Dokumente erschienen, die die Kontroversen über Stalins Absichten aufgeklärt haben. Die Stimmen früherer Kritiker der Arbeiten von Ernst Topisch, Joachim Hoffmann und Viktor Suworow verstummten, als immer mehr Beweise dafür vorlagen, dass beide Diktatoren von Eroberungsplänen geleitet waren.
Aus Akten der britischen Regierung geht hervor, dass Stalin während der Militärverhandlungen im Sommer 1939, in denen England und Frankreich um sowjetische Unterstützung für das von Hitler bedrohte Polen bemüht waren, militärische Unterstützung für diese Pläne signalisierte, jedoch nur unter der Bedingung, dass er ohne Zustimmung der Regierungen dieser Länder durch Polen und Rumänien marschieren dürfe. London und Paris durchschauten jedoch Stalins Absichten und wollten dies nicht zulassen. Deshalb brach Stalin am 19. August die Verhandlungen ab und ließ Hitler am nächsten Tag einen Vorschlag für einen Nichtangriffspakt mit der Forderung nach einem zusätzlichen Geheimprotokoll über interessante Fragen übermitteln. Dieses Protokoll enthielt Stalins Plan zur Annexion der östlichen Gebiete Polens, der baltischen Staaten und Moldawiens. Stalin verlangte von Hitler die Zustimmung zu diesem Protokoll als Bedingung für den Abschluss des Nichtangriffspaktes. Hitler stimmte diesen Bedingungen zu und gewann damit einen Partner für den Krieg gegen Polen. Am 17. September, als die polnisch-deutschen Kämpfe noch tobten, marschierten sowjetische Truppen unter dem Vorwand, die ukrainische und weißrussische Bevölkerung zu schützen, in Ostpolen ein, und so nahm Stalin seinen Teil der Kriegsbeute. 200.000 polnische Soldaten wurden in sowjetische Gefangenschaft genommen. Am 30. Oktober 1939 griff Stalin auch Finnland an. Die verbreitete Meinung, Stalin habe ein Bündnis mit Hitler gebraucht, um sich auf den Krieg gegen ihn vorbereiten zu können, ist nicht glaubwürdig. Für Stalin gab es nichts Einfacheres, als gemeinsam mit Frankreich und England eine Koalition zu bilden, die Hitler bedrohte und Polen unterstützte. In der folgenden Zeit erkannte Hitler, dass er keine Zeit mehr hatte. Nach der Eroberung Frankreichs und dem Scheitern von Hitlers Versuchen (im Herbst 1940), den Widerstand Englands zu brechen, wurde im Westen die Macht der USA deutlich, und auch dem sowjetischen Verbündeten im Osten konnte man nicht trauen. Hitler war unentschlossen, gegen welchen Gegner er den nächsten Kampf beginnen sollte, gegen England oder gegen die Sowjetunion. Ab Sommer 1940 begann der Generalstab mit der Ausarbeitung von Operationsplänen für beide Möglichkeiten. Der Plan „Barbarossa“ gegen die Sowjetunion und der Plan ‚Seelöwe‘ gegen England. Die Umsetzung des Plans „Seelöwe“ war zunächst für Herbst 1940 vorgesehen, wurde jedoch Mitte Oktober 1940 auf das Frühjahr verschoben. Nach der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes am 23. August 1939 stellte Stalin wiederholt in ultimativer Form neue Forderungen und unternahm Schritte, die in seiner Vereinbarung mit Hitler nicht vorgesehen waren. Als Beispiel seien hier die Besetzung der baltischen Staaten im Jahr 1940 sowie die Forderungen nach der Annexion Moldawiens genannt. Der Höhepunkt dieser territorialen und hegemonialen Bestrebungen Stalins war der Besuch des sowjetischen Außenministers Molotow am 12. Oktober 1940 in Berlin. Molotow erklärte damals provokativ, dass sich das deutsch-sowjetische Abkommen vom August 1939 nur auf die jeweilige Phase der zwischenstaatlichen Beziehungen beziehe. Aus sowjetischer Sicht waren neue Vereinbarungen in territorialer und hegemonialer Hinsicht notwendig geworden. Diese neuen sowjetischen Forderungen gingen über den Hitler-Stalin-Pakt hinaus, und Molotow zeigte sich nicht kompromissbereit. Stalin stellte weitere Forderungen in Bezug auf Finnland, die dänischen und türkischen Meerengen, Rumänien und Bulgarien. Hitler erkannte zu diesem Zeitpunkt, dass er zwischen Kampf und Kapitulation wählen musste, da in Zukunft weitere und noch weitergehende Forderungen Stalins zu erwarten waren. So gelangte Hitler im Oktober 1940 zu der Überzeugung, dass er den Krieg mit der Sowjetunion nicht länger hinauszögern konnte. Beeindruckt von dem gescheiterten Versuch, Molotows Position zu schwächen, beschloss Hitler am 26. Oktober, die Vorbereitungen für die Durchführung des Plans „Barbarossa“ voranzutreiben, was das Ergebnis politischer Kalkulationen und Teil seiner auf der Analyse der entstandenen Lage basierenden Großmachtpolitik war. Zu dieser Zeit gelangte auch Stalin zu der Überzeugung, dass ein Krieg mit Hitler unvermeidlich sei. Beide Diktatoren waren bereits zuvor dieser Meinung, d. h. noch vor dem Abschluss des Nichtangriffspaktes, der in Wirklichkeit nur ein Versuch war, Zeit zu gewinnen. Obwohl Stalin seine Verpflichtungen aus dem Pakt zur Lieferung von Rohstoffen vollständig erfüllte, traf er ebenso wie Hitler seit Ende 1940 Vorbereitungen für einen Krieg gegen Deutschland, bevor er von verdächtigen Bewegungen der deutschen Truppen erfuhr. Die sowjetische Seite begann im Januar 1941 mit strategischen Überlegungen zu einem Angriff auf die von den Hitler-Truppen besetzten Gebiete Europas. Mitte Mai begann Stalin mit einer systematischen Umgruppierung seiner Truppen, die er in der ersten Juliwoche abschließen wollte. Der deutsche Einmarsch kam also nur wenige Wochen vor dem sowjetischen Angriff. Die sowjetischen Truppen, die sich in Umgruppierungen befanden und sich auf den Angriff vorbereiteten, wurden für Hitler zu einer leichten Beute, was die enormen militärischen Erfolge der Wehrmacht zu Beginn des Krieges verständlich macht. Der sowjetischen Seite gelang es nicht, die Rote Armee schnell genug in eine Verteidigungsformation umzugruppieren, die Stalin ohnehin nicht in Betracht gezogen hatte.
Maser entdeckte in den sowjetischen Archiven unter anderem einen schriftlichen Bericht des damaligen Verteidigungskommissars, Marschall Timoschenko, und des Chefs des Generalstabs, Schukow, vom Mai 1941. Dieses Material enthält einen Plan für einen Überfall auf Deutschland. Der Plan ist mit den Initialen „J. St.“ unterzeichnet. Dieser Plan enthält den Vorschlag eines Überraschungsangriffs auf die an der Westgrenze stehende deutsche Armee. Demnach sollten die stalinistischen Truppen die Hauptstreitkräfte der deutschen Armee bei Lublin einkesseln und vernichten. Der Hauptschlag der Roten Armee sollte in Richtung Krakau-Kattowitz erfolgen. Dabei sollten 303 sowjetische Divisionen an vier Frontabschnitten in den Kampf eingreifen. Beide Verfasser des Plans forderten von Stalin eine geheime Mobilmachung und Umgruppierung der östlichen Truppen sowie die Umstellung der sowjetischen Wirtschaft auf Kriegswirtschaft. Tatsächlich wurde am 13. Mai 1941 der Befehl erteilt, vier Armeen mit 28 Divisionen in die westlichen Grenzgebiete zu verlegen, wo bereits 2,9 Millionen Soldaten, mehr als 1500 Flugzeuge, 35000 Artillerieeinheiten und 1800 Panzer stationiert waren.
Als Hitler im Juni 1941 angriff, waren beide Seiten von dem hohen Grad der Vorbereitung der Offensive überrascht. Zur Erklärung der Bedeutung der sowjetischen Truppenkonzentration an der Westgrenze wurden in der Fachliteratur viele Versionen verbreitet. Ein Großteil dieser Spekulationen, die heute widerlegt werden müssen, berücksichtigte nicht die gründliche Analyse der sowjetischen Truppenaufstellung, auf die die Hitler-Armeen kurz nach dem Überqueren der Ostgrenze stießen. Die wahren Absichten Stalins lassen sich eindeutig aus dem Ausmaß der sowjetischen Truppenkonzentration, ihrer Mobilität, ihren Versorgungs- und Transportwegen usw. ableiten. Es reicht jedoch nicht aus, nur zu sagen, dass auf sowjetischer Seite deutlich mehr Soldaten, mehr Artillerie und deutlich mehr Offensivwaffen wie Panzer standen und eine ausschließlich auf offensive Maßnahmen ausgerichtete Militärdoktrin galt, da auch der Verteidiger die Fähigkeit zum Übergang zum Angriff bewahren muss, um die Kriegshandlungen so schnell wie möglich auf das Gebiet des Gegners zu verlagern. Das entscheidende Argument findet sich jedoch in der Aufstellung der für den Angriff vorbereiteten Armee, insbesondere in der Positionierung der für den Ausgang der Schlacht entscheidenden Waffen und Depots weit vorne an der Front und näher an den Reserven im Hinterland. Diese Aufstellung der sowjetischen Armee verrät die politischen Absichten Stalins und die Rolle, die der Roten Armee zukam. Der sowjetische Generalstabschef Schukow und der Kriegskommissar Timoschenko legten Stalin im Mai 1941 einen Operationsplan vor, in dem nur noch „wann?“ und „wie?“ offen blieben, da die fast abgeschlossene Gruppierung von 180 Divisionen bereits gesichert war. Maser widerspricht der nicht nur in Deutschland verbreiteten Auffassung, dass der deutsche Überfall auf die Sowjetunion Teil eines seit langem vorbereiteten Stufenplans Hitlers war.
Maser bewertet den deutschen Überfall, zu dem Hitler erst nach Molotows Besuch in Berlin entschlossen war, nicht als langfristigen Plan Hitlers, sondern als „im Grunde genommen eine groß angelegte Improvisation“. Bei der Betrachtung des Plans „Barbarossa“, unter dessen Decknamen Hitler seine eigenen Vorbereitungen für den Krieg gegen Stalin traf, unterstützt Maser all diejenigen, die Hitler eine rationale politische Kalkulation unterstellen, deren Schlussfolgerungen auf die Notwendigkeit des Einsatzes militärischer Gewalt gegen die stalinistischen Truppen hindeuteten. Demgegenüber postulieren Vertreter einer anderen Gruppe von Historikern, dass Hitler „programmatische“, d. h. ideologische Motive hatte. Die Konsequenzen der Interpretation des Kriegsausbruchs gemäß der Position der ersten Gruppe führen dazu, dass man nicht mehr von „wahnsinnigen Handlungen Hitlers“ sprechen kann, sondern Hitlers Vorgehen zumindest eine gewisse Logik zugestehen muss.
Die Debatte über die tatsächlichen Motive Hitlers wurde 1989 durch die Veröffentlichung des Buches „Der Eisbrecher“ von Viktor Suworow wiederbelebt. Hinter dem Pseudonym Suworow verbirgt sich ein sowjetischer General des Generalstabs, der 1986 nach England floh. Das Buch beschreibt detailliert Stalins Absichten, das von deutschen Truppen besetzte Europa anzugreifen, dessen Beginn Suworow auf den 6. Juli 1941 datierte. Mit dem Erscheinen dieses Buches bildeten sich drei Gruppen von Historikern, die folgende Thesen vertraten: 1) Hitler habe einen Präventivkrieg geführt, 2) der Angriff auf die Sowjetunion sei hinterhältig gewesen, 3) Hitler habe aufgrund von machtpolitischen Überlegungen rational kalkuliert. Suworows Buch löste in Deutschland heftige Proteste aus, da seine Schlussfolgerungen im Widerspruch zu den dort seit Jahrzehnten verbreiteten historischen Fakten standen und als unnötiger Versuch angesehen wurden, die offensichtliche und ausschließlich deutsche Aggression zu relativieren oder zu rechtfertigen, wodurch es den sogenannten Revisionismus des geltenden Geschichtsbildes unterstützte. Revisionismus des geltenden Geschichtsbildes. Deutschen Historikern gelang es jahrzehntelang, mit ihren eigenen Forschungsergebnissen die sowjetische Interpretation der Geschichte zu untermauern. Im Mai 1990 und im Juni 1991 wurden in der Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ Auszüge aus einer Studie von Oberst Karpow über den sowjetischen Angriffsplan veröffentlicht. Doch noch 1991 wurde auf einem historischen Symposium zum Deutsch-Sowjetischen Krieg in Freiburg kein Wort über die neuen Veröffentlichungen und deren wichtige Inhalte, die in direktem Zusammenhang mit dem diskutierten Konflikt standen, verloren. Im Gegenteil, auf diesem wissenschaftlichen Symposium wurde weiterhin ausschließlich von dem verräterischen Überfall der Deutschen gesprochen. Die daraus resultierenden Kontroversen lassen sich anhand einer Analyse der Archivmaterialien erklären. Angesichts der neuen Dokumente lässt sich die früher verbreitete Meinung von der „Unschuld“ Stalins und der „Friedliebendheit“ der Sowjets nicht länger aufrechterhalten.
Masers Forschungsergebnisse wurden in Russland abgelehnt. Einzelne russische Historiker werfen ihm mangelnde Absicht, die historische Wahrheit zu erforschen, Voreingenommenheit in seiner Analyse und Willkür bei der Auswahl historischer Dokumente vor. Die Diskussion darüber, ob Masers Schlussfolgerungen als richtig anzusehen sind, wird in Historikerkreisen sicherlich weitergehen. Für die breite Öffentlichkeit dürfte jedoch interessant sein, dass die Reaktionen aus Moskau Stalin verteidigen, was im Widerspruch zu der in Russland in den letzten Jahren geführten Kritik an Stalin steht. Historiker leisten einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der negativen Aspekte der deutsch-russischen Vergangenheit, was die Völker einander näher bringt und zu einer endgültigen Befreiung von gegenseitigen Feindbildern führt. Diese Verantwortung können Historiker am besten dokumentieren, wenn alle Siegerstaaten des Zweiten Weltkriegs uneingeschränkten Zugang zu Archivmaterial gewähren, wie es Deutschland nach 1945 getan hat.
Die Lektüre von Masers Buch gebietet, den Deutsch-Sowjetischen Krieg nicht länger als einen Krieg zu betrachten, dessen Ursache in Hitlers ideologisch motiviertem Angriff auf die friedlich gesinnte Sowjetunion lag. Im Namen einer dauerhaften Versöhnung der Völker nach den schrecklichen Erfahrungen des Krieges sollten sich künftige historische Analysen ausschließlich auf dokumentierte Fakten stützen und daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Nur eine sachliche und vorurteilsfreie Analyse der Geschichte wird das Verständnis des historischen Geschehens erleichtern, ja sogar erst ermöglichen und eine echte Verständigung zwischen den Völkern festigen.
In Russland kam es nach der Öffnung der Archive zu einer lebhaften Diskussion über die Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkriegs. Bereits im April 1939 sprach Stalin vor Mitgliedern des Politbüros davon, dass er eine Expansion nach Westen plane. Stalin wollte Deutschland und die Westmächte in einen großen europäischen Krieg verwickeln. Ein wichtiges Schlagwort dieser Rede war die „Sowjetisierung“ Europas. In einer anderen Rede vom 5. Mai 1941 erklärte Stalin sowjetischen Offiziersanwärtern, dass der sowjetische Marsch nach Westen eine logische Konsequenz der Ziele der kommunistischen Revolution sei, da dadurch die kapitalistischen Herrschaftssysteme endgültig zerschlagen werden könnten.
Ein weiterer Beweis für Stalins aggressive Pläne ist seine geheime Rede, die er am 19. August 1939 auf einer Sitzung des Politbüros der KPdSU im Kreml hielt. Der Inhalt dieser Rede wurde erstmals in der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ in der Ausgabe vom 23.7.1996 veröffentlicht. Dieser Artikel basierte auf „streng geheimen“ Dokumenten, die aus dem Kreml geschmuggelt worden waren, nachdem die Archivwächter bestochen worden waren. Stalin begründete die Vorteile eines Abkommens mit Hitler wie folgt: „Nachdem wir den Pakt mit Hitler unterzeichnet haben, wird Deutschland endlich Polen angreifen. Dann wird der Kriegseintritt Englands und Frankreichs für sie unvermeidlich sein. Der Westen wird eine Zeit der Unruhen und des Chaos erleben, und unter solchen Bedingungen werden wir in den Krieg eintreten können, wenn es für uns am günstigsten ist. Der erste Vorteil der Unterzeichnung des Paktes wird die Zerstörung Polens und die Verlegung unserer Grenzen bis nach Warschau sein.“ An der geheimen Sitzung des Politbüros nahmen nur einige seiner Mitglieder teil, die die engste Führung der sowjetischen Macht bildeten. Stalin begründete gegenüber diesem Gremium die geplante Ankunft des deutschen Ministers Ribbentrop in Moskau zur Unterzeichnung des „Nichtangriffspaktes“ wie folgt: „Wenn wir den Vorschlägen Englands und Frankreichs, deren Gesandtschaften sich gerade in Moskau aufhalten, zustimmen und mit ihnen und nicht mit Deutschland einen Bündnisvertrag unterzeichnen, könnte Hitler von einem Angriff auf Polen absehen. Dann würde kein Krieg ausbrechen, da Deutschland versuchen würde, eine Einigung mit dem Westen zu finden. … Für die Sowjetunion hingegen ist der Krieg notwendig und unverzichtbar, da der Bolschewismus unter friedlichen Bedingungen nicht in der Lage ist, die westlichen Länder zu beherrschen. Mehr noch, der Frieden könnte sich sogar als Gefahr für die Existenz der Sowjetunion erweisen.“ Weiterhin betonte Stalin: „Deutschland gibt uns freie Hand in den baltischen Staaten und wird auch der Angliederung Bessarbiens an die UdSSR zustimmen. Es wird auch der vollständigen Unterwerfung Bulgariens, Rumäniens und Ungarns unter uns zustimmen. Die Frage Jugoslawiens und der übrigen baltischen Staaten bleibt vorerst offen.“
In Stalins Augen war jedes Ergebnis des Krieges für die UdSSR von Vorteil. Im Falle einer Niederlage Hitlers würde es zur Sowjetisierung Deutschlands kommen. Es lag im Interesse der UdSSR, dass der Krieg so lange wie möglich andauerte, da England und Frankreich sonst noch zu stark wären und das kommunistische Deutschland zerstören würden. Stalin betonte weiter die Vorteile der Unterstützung der kommunistischen Agitation, die er vor allem in Frankreich betrieb, um die staatlichen Dienste zu demoralisieren. Sollte Hitler jedoch den Sieg davontragen, müsste er die von ihm eroberten Gebiete kontrollieren. Dann würde „unter der Führung der dortigen Kommunisten ein nationaler Befreiungskampf gegen Hitler organisiert werden“.
Die von der Zeitung „Die Welt“ veröffentlichte beweist, dass Stalin sich nicht damit zufrieden geben wollte, Polen die ukrainisch-weißrussischen Gebiete, die es einige Jahre zuvor im polnisch-sowjetischen Krieg erobert hatte, sowie die baltischen Länder und Finnland zurückzunehmen, sondern dass sein weitreichendes Ziel die Eroberung aller Staaten Europas war. Stalin strebte auch die Kommunisierung der Staaten Kontinentaleuropas und ihre vollständige Abhängigkeit von Moskau an. In Stalins Plänen hatte sein am 23.08.1939 unterzeichneter Pakt mit Hitler lediglich die Funktion eines taktischen diplomatischen Schrittes, um Deutschland und die Westmächte in den Krieg zu verwickeln. Während dieser geheimen Sitzung des Politbüros im Kreml beschloss die Führung der sowjetischen Kommunisten eine geheime allgemeine Mobilmachung, die sich nicht nur auf die Streitkräfte beschränkte, sondern die gesamte sowjetische Bevölkerung umfasste.
Im Westen verbreiteten einige Historiker bereits seit vielen Jahren die These, dass Stalin im Sommer 1941 einen Angriff auf Deutschland geplant habe. Damit wird der Hitler-Aggression gegen die Sowjetunion lediglich präventiver Charakter zugeschrieben, da ihr eine unmittelbare sowjetische militärische Bedrohung zugrunde liege. Eine lebhafte Debatte zu diesem Thema kam in russischen Historikerkreisen erst 1993 auf, obwohl Stalins Pläne für einen Angriff auf Deutschland bereits zuvor von Viktor Suworow in seinem Buch „Der Eisbrecher“ beschrieben worden waren. Suvorow stellt Hitler darin als ein Werkzeug dar, das Stalin benutzt habe. Seiner Meinung nach habe Stalin Hitler mit dem Nichtangriffspakt in den Krieg hineingezogen und ihn benutzt, um „das Eis zu brechen“ und die Revolution auf Mittel- und Westeuropa auszuweiten. Laut Suworows Buch hatte Stalin von Anfang an aggressive Absichten, und sein Angriff sollte am 6. Juli 1941 stattfinden. Hitler sei also nur zwei Wochen früher als Stalin mit seiner Aggression gewesen. Als Beweise führte Suworow die Verlegung sowjetischer Truppen an die Westgrenze, die Auflösung zuvor vorbereiteter sowjetischer Verteidigungsstellungen, die Minenräumung in den Grenzgebieten und die Massenproduktion von Panzern und Flugzeugen für offensive Zwecke an. Die erste Reaktion sowjetischer Historiker auf Suworows Thesen war lautstarkes Empörung und die Bezeichnung des Autors als „Verräter“, dem auch vorgeworfen wurde, den Stolz des sowjetischen Volkes untergraben zu wollen. Dabei wurde unter anderem behauptet, dass seine Beweise von ausländischen Geheimdiensten gefälscht worden seien. Wiederum wurde das alte Argument angeführt, Stalin habe aufgrund des schlechten Zustands der Roten Armee versucht, den Ausbruch eines Krieges zu einem für ihn ungünstigen Zeitpunkt zu verhindern. Der erste Historiker, der Suworows Grundthese über Stalins Vorbereitungen für einen Überraschungsangriff im Juli 1941 unterstützte, war Boris Sokolow. Sokolow wies unter anderem auf die Aufstellung einer mehrere tausend Mann starken Schützendivision hin, der sowohl sowjetische Bürger polnischer Herkunft als auch polnischsprachige Posiane angehörten. Diese Division wurde auf Beschluss des Plenums des Zentralkomitees vom 4. Juni 1941 gebildet, was belegt, dass Stalin versuchte, die Aggression gegen den Westen als „Befreiung Polens“ zu bezeichnen. Die stalinistische polnischsprachige „Befreiungsarmee“ hatte eine wichtige Propagandaufgabe zu erfüllen, ähnlich wie die finnische Division im Krieg gegen Finnland 1939/41 oder die später gebildete polnische Division, die in die Kämpfe bei Lenino eingezogen wurde. Gleichzeitig wurde auch die Propaganda der Roten Armee auf die Erfordernisse eines Offensivkrieges umgestellt. Auslöser dafür war Stalins Rede vom 5. Mai 1941, deren Inhalt erstmals 1995 veröffentlicht wurde. In dieser Rede sprach Stalin nicht (wie zuvor behauptet) von der Notwendigkeit, den deutschen Angriff zu verzögern, sondern davon, dass die deutsche Armee besiegt werden könne und dass es an der Zeit sei, dass die neu bewaffnete sowjetische Armee „von der Verteidigung zum Angriff übergehe“. Den Rekruten wurde auch eingeredet, dass ein Offensivkrieg dann gerecht sei, wenn er zur „Ausweitung der Grenzen des Sozialismus“ geführt werde. Gleichzeitig kamen in den sowjetischen Kinos wieder antifaschistische Filme, die seit August 1939, dem Datum des Abschlusses des Hitler-Stalin-Paktes, nicht mehr gezeigt worden waren. Seit 1994 wurde die Diskussion über Suworows Thesen in historischen Zeitschriften fortgesetzt. In der Zwischenzeit wurden seine Thesen von zahlreichen Vertretern einer neuen, kritischen Generation von Historikern aufgegriffen, die die lebhafte Debatte mit neuen Fakten und Ergebnissen ihrer eigenen Archivforschungen bereichern. Ihrer Meinung nach kann man nicht länger behaupten, dass Stalin den Krieg mit Hitler bis 1942 hinauszögern wollte und dass er die Absicht hatte, die Bestimmungen des Molotow-Ribbentrop-Paktes zu erfüllen. Tatsächlich arbeitete die sowjetische Seite bereits seit Oktober 1939 an einem Plan für eine eigene Offensive, und am 15. Mai 1941 verabschiedete die russische politische Führung einen Angriffsplan, woraufhin unverzüglich mit der Verlegung sowjetischer Truppen, darunter auch der Luftwaffe, an die Grenze begonnen wurde. Die Umgruppierung der Truppen sollte im Juli abgeschlossen sein. Hitler durchkreuzte jedoch mit seinem eigenen Angriff Stalins Pläne.
Obwohl Suworow sich hinsichtlich des Datums des geplanten Angriffs auf die deutschen Truppen leicht irrte, da die Umgruppierung der sowjetischen Truppen erst am 15. Juli 1941 abgeschlossen sein sollte, ist es dennoch anzunehmen, dass beide Diktatoren seit 1940 parallel Vorbereitungen für den Angriff getroffen haben. Trotz dieser neuen Erkenntnisse ist die Debatte darüber noch nicht endgültig abgeschlossen, da eine ganze Reihe von Dokumenten, darunter der strategische Angriffsplan vom Mai 1941, noch unter russischer Kontrolle stehen.
Bruno Nieszporek (1996)
Der Text wurde in der Monatszeitschrift „Schlesische Schwalbe“ in der polnischen Fassung 1996_4/5 veröffentlicht.
Quelltext: silesiainfo.net/SilesiaArchiv/SlonskDe/Slonsk/Abni/GSOS/DwajNapastnicy.htm
Der letzte Mythos: Wer entfesselte den 2. Weltkrieg?
Ein sensationeller Film in 18-Teilen.
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https://www.youtube.com/results?search_query=Der+letzte+Mythos+Dokumentation+Teil+1
Viktor Suworow erläutert im Film detailliert viele geschichtlichen Fakten und Handlungen, die seine Sicht untermauern. Über den Film schreibt Youtube:
„Wer entfesselte den 2. Weltkrieg? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so einfach, wie es scheinen mag. Sie beschäftigte den Major des berüchtigten russischen Militärgeheimdienstes GRU Viktor Suworow … seit der frühesten Jugendzeit. Seine bedeutendsten Bucher „Der Eisbrecher“ und „Der Tag M“ wurden in 18 Sprachen übersetzt und erlebten fast 100 Auflagen. Wobei allein in Rußland über 20 Mio. seiner Bucher verkauft wurden. Seitdem erschienen Hunderte Artikel, viele Dissertationen wurden geschrieben, über dreißig Bucher beschäftigen sich nunmehr mit seinen Argumenten… und doch gelang es bis heute keinem, seine Behauptungen wissenschaftlich zu widerlegen.
… Unzählige historische Aufnahmen aus den russischen Archiven zerstören den Mythos über die angebliche Ahnungslosigkeit der sowjetischen Führung und belegen auf eindrucksvolle Art und Weise die gewaltigen Vorbereitungsmaßnahmen der Sowjetunion zu einem heimtückischen Angriffskrieg gegen Deutschland und Europa.“
Teil 1: https://www.youtube.com/watch?v=sIv6wEAR3HQ
Teil 18: https://www.youtube.com/watch?v=km_xUUKgGQY