Mord an Theofil Kupka

Im November 1920 gab Korfanty einem Trupp der „Bojówka polska“ den Befehl, einen Gegner zu beseitigen, der ihm aus seinen eigenen Reihen erwachsen war. Es handelte sich um den ehemaligen Leiter der Organisationsabteilung des polnischen Plebiszitkommissariats in Beuthen, Theofil Kupka.

Im Wahlkampf zum oberschlesieschen Plebiszit traten verstärkt die Autonomisten auf, die einen selbständigen oberschlesischen Staat forderten.

Die Autonomiebestrebungen traten schon im Jahre 1872 mit die Herausgabe einer zweisprachigen Wochenschrift „Schlesier-Ślązak“ in Erscheinung. Mitte 1919 wurde der Bund der Oberschlesier – Związek Górnoślązaków“ gegründet, der die Losung vertrat: „Oberschlesien den Oberschlesiern!“. Nach den Plänen dieser Unabhängigkeitsbewegung sollte Oberschlesien ein völkerrechtlich anerkannter, souveräner und neutraler Staat werden.

Von der stetig steigenden Popularität der Bewegung zeugt die Auflage ihres zweisprachigen Presseorgans „Der Bund – Związek“. 1920/21 in 20.000 bis 40.000 Exemplaren gedruckt, stieg die Auflage nach der Volksabstimmung auf mehrere Hunderttausend pro Ausgabe. Die Idee der Freistaatlichkeit Oberschlesiens wurde vor allem nach dem Korfantys dritten „Aufstand“ an der Popularität stark zugenommen.

Die separatistischen Tendenzen wurden auch bei der deutschen Zentrumspartei sichtbar.

Sigmund Karski schreibt in seinem Buch „Albert (Wojciech) Korfanty“: 
Während eines am 9. Dezember 1918 in Kandrzin, dem späteren Haydebreck, stattfindenden Parteitages wurde auch vom Zentrum die Losung „Oberschlesien den Oberschlesiern!“ aufgegriffen und die Autonomie unter deutscher Staatshoheit gefordert. … Dem Druck der Zentrumspartei und der Autonomisten ist es jedoch zuzurechnen, dass der Regierungsbezirk Oppeln im Oktober 1919 zur selbständigen Provinz Oberschlesien erklärt wurde.“

In der separatistischen Bewegung waren auch kleinere Gruppen aktiv, dazu zählte

  • der Polnische Verband der oberschlesischen Autonomisten
    (Polski Związek Górnoślązaków Autonomistów)
  • die „Oberschlesische Einheit“ (Jedność Górnośląska)
  • und vor allem der Kreis um Theofil Kupka, den Herausgeber der zweisprachigen Wochenschrift Wola Ludu – Der Wille des Volkes.

Anfang 1920 wurde Kupka beim polnischen Plebiszitkommissariat eingestellt und zählte somit zu Korfantys engsten Mitarbeitern. Dessen Propagandamethoden und Lügen, die Brutalität seiner Schlägertrupps, unter denen vor allem das einfache Volk zu leiden hatte, dies alles wurde Kupka jedoch alsbald zum Gräuel. Zudem störte ihn die Tatsache, dass das Plebiszitkommissariat von gebürtigen Polen vereinnahmt worden war, die, obwohl in der Minderheit – etwa ein Drittel der Belegschaft kam von außerhalb Oberschlesiens -, die Schlüsselstellungen innehatten und hierdurch tonangebend waren. … Die Unkenntnis der oberschlesischen Mentalität, die Überheblichkeit und nicht selten Arroganz der Nationalpolen, die sich über das „Wasserpolnisch“ der Einheimischen lustig machten, führte zu Spannungen in der Plebiszitzentrale. Kupka entschied sich zu handeln … und verlangte von Korfanty die Entlassung der „Schlachtschitzen und der Doktoren aus Kongresspolen“ sowie die Änderung der Abstimmungskampagne.“

Korfanty hat viele Versuche unternommen, um Kupka mit Gelt oder anderen Drohungen zum politischen Liniehalten zu bewegen, aber sie haben nichts gebracht. So wurde Kupka im Juli 1920 entlassen, und zusammen mit einer Gruppe seiner Anhänger beschloss er für die Autonomie Oberschlesiens zu kämpfen.

Am 6. November 1920 erschien die erste Nummer von „Wola Ludu – Der Wille des Volkes“ mit der Schlagzeile „Oberschlesien den Oberschlesiern!“. Darin stand geschrieben: „All das Blut, all die Tränen, die bislang vergossen wurden, und all das Elend, das wir erlitten haben, wäre umsonst, wenn wir mit einer Autonomie, mit der uns die Warschauer Regierung beglücken will und die übrigens von den Schlachtschitzen … fabriziert worden ist, beschert werden sollten.“ (Schlachtschitzen – der frühere polnische Adel). Kupka wollte damit folgendes zum Ausdruck bringen: Die Oberschlesier wurden zwar von den Preußen nie als gleichberechtigte Bürger anerkannt, „wenn man die gewissenlose Unterdrückung der Oberschlesier durch die Erzpolen in Betracht ziehe, könne man schon heute davon überzeugt sein, dass es unter der Knüppelherrschaft der Schlachtschitzen weitaus schlimmer sein werde als unter den Preußen.“ (S. Karski)

Kupkas Zeitung gewann auf Anhieb riesige Resonanz unter den Oberschlesiern, seine Auflage war bald die höchste in Oberschlesien. Korfanty mit seinen Terrortrupps unternahm alles, um den freien Verkauf dieser Zeitung zu verhindern. Es entwickelten sich Straßenschlachten zwischen den Kaufwilligen Schlesiern und den Korfantys-Terrortrupps. Der Korfanty musste einsehen, dass seine Gewalttrupps die Verbreitung dieser Zeitung nicht mehr verhindern können. Wäre nichts unternommen worden, hätte die polnische Fraktion ihre Wahlchancen verfehlt und Korfanty bliebe ohne Aussichten auf den Sieg.

Um den Verkauf der Zeitung zu verhindern, setzte Korfanty seine Terrortrupps ein, so dass um manche Nummern dieses Blattes regelrechte Straßenschlachten entbrannten. Korfanty musste alsbald erkennen, dass der Verbreitung der Zeitung mit Gewalt nicht beizukommen und ihm in Kupka ein Gegner entstanden war, der den erhofften Wahlsieg gefährden konnte.

Karski schreibt weiter:
Da Kupkas Wirken nicht einzudämmen war, musste er ausgeschaltet werden. Mitte November 1920 wies Korfanty den Personalchef des polnischen Plebiszitkommissariats, Franciszek Lubos an, ein Foto Kupkas an bestimmte Männer, wahrscheinlich Mitglieder der „Bojówka polska“, auszuhändigen. Am 20. November 1920 wurde Kupka in seinem Haus in Beuthen vor den Augen seiner hochschwangeren Frau erschossen. Einer der Mörder, der Schlosser Henryk Myrcik … wurde gefasst und sollte vor dem Schwurgericht in Beuthen abgeurteilt werden. Einen Tag vor der Hauptverhandlung beschlagnahmte jedoch der Vertreter des von der Interalliierten Kommission in Oppeln gebildeten Gerichtshofes, Prinosce, bei der Beuthener Staatsanwaltschaft die Akten des Beschuldigten. Der Prozess musste vertagt werden. Kurz darauf wurde Myrcik von französischen Soldaten aus dem Gefängnis geholt und in die Freiheit entlassen.“

Für die politische Bewertung der Mordes an Kupka entscheidend ist der Hinweis vom Sigmund Karski:

Es besteht kein Zweifel, dass Korfanty diesen Mord angeordnet hat.

Im dem Lichte überrascht nicht mehr, dass die polnische Seite alles unternommen hat, um ein Eröffnung des Gerichtsverfahren gegen den Mörder und seinen Auftragsgeber Korfanty zu verhindern. Das hätte doch fatale Auswirkung auf die polnischen Wahlchancen und legte die französische Mitschuld offen.

Trotz der Behandlung des politisch bedingten Mordes an Kupka im Reichstag und aller anderen Proteste, verhinderten die Franzosen die Verhurteilung des Mörders und nur so ist es zu verstehen, dass dem Mord an Theofil Kupka bis heute kein angemessener Raum in der schlesischen Öffentlichkeit geschenkt wird.

Bruno Nieszporek (04.2001)

In der Anlehnung an das Buch „Albert (Wojciech) Korfanty“ von Sigmund Karski
Laumann-Verlag Dülmen

Quelltext aus: https://www.silesiainfo.net/SilesiaArchiv/SlonskDe/Slonsk/Kalendarium/1920/19201120_Kupka.htm

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