Situation der deutschen Volksgruppe in Schlesien bis 1989
Vortrag auf dem Annaberg am 5. September 2001 aus Anlass des Burschenschaftertreffens mit Teilnehmern aus Deutschland, Österreich wie auch Oberschlesien.
Der Zweite Weltkrieg war im September 1939 von deutschem Boden ausgegangen, und im Januar 1945 erreichten die Kämpfe Schlesien.
Die in Schlesien einmarschierte Rote Armee, im Bewusstsein, sich auf deutschem Gebiet zu befinden, bekam von ihrer Führung wie auch von Ideologen wie z.B. dem Schriftsteller Ilja Ehrenburg, einen Passierschein zum Plündern, Morden und Vergewaltigen. Dieses wurde auch in zigtausend Fällen in unmenschlich grausamer Weise praktiziert.
Die Sowjets kasernierten alle Männer von 16-60 Jahren in mehreren Dutzend Lagern. Der Großteil wurde in die Sowjetunion deportiert, wo die Männer unter unmenschlichen Verhältnissen und halb verhungert in Gruben und Hüttenwerken Schwerstarbeit leisten mussten. Nur jeder siebte kam aus der Sowjetunion zurück.
Die Kämpfe um Schlesien dauerten noch an, da begann die polnische Seite schon mit der Aufteilung der Schlesier in die echten, die ungewolltenen und unwürdigen. Das hat Aleksander Zawadzki, der neue polnische Wojewode Schlesiens (einen Wojewoden, kann man ungefähr mit einem Ministerpräsidenten eines Landes in Deutschland vergleichen), mit seiner Anordnung vom 29. Januar 1945 getan, in der er schrieb über die: ”Beseitigung aller Spuren der deutschen Besetzungszeit, zwecks Unterstreichung des polnischen Charakters Schlesiens.”
Im Februar 1945 begannen die Vorbereitungen zur Übernahme Oberschlesiens. Die Sowjets übergaben im März 1945 das Land rechts der Oder und im Mai die Gebiete auf der linken Oderseite an Polen.
Die polnische Regierung beschloss am 20. März 1945, alle Bewohner Oberschlesiens zu klassifizieren in solche, die eindeutig als ethnische Polen anerkannt wurden und andere, die mittels verschiedener Beweise, Erklärungen, Sprachkenntnisse, Zeugenaussagen, Loyalitätserklärungen, Verdienste um den polnischen Staat und das Volk usw. ihr Polentum glaubhaft machen konnten oder wenigstens die gestellten Erfordernisse zum Teil erfüllten und in jene, deren Beweise und Erklärungen nicht ausreichten oder die keine Beweise besaßen und keine Erklärung abgeben wollten. Auf dieser Seite gab es auch jenen großen Teil der Bevölkerung, der als rein deutsch für eine Verifizierung gar nicht in Frage kam. Wer also die Erfordernisse erfüllte, wurde als polnischer Staatsbürger verifiziert. Diejenigen aber, die die Verifizierung nicht erlangten oder sie gar nicht wollten, blieben in den Augen der Polen Deutsche, wurden in Lagern konzentriert und letztendlich durch Anwendung von Zwang nach Deutschland vertrieben.
Am 18. März 1945 erließ A. Zawadzki eine Verordnung, in welcher die Bildung von Ortsteilen empfohlen wurde, in denen die deutsche Bevölkerung provisorisch untergebracht werden sollte. Er verbot deutschen Schlesiern die Benutzung der Bahn, es sei denn, dass sie nach Westen fuhren.
Nach Veröffentlichung dieser Verfügung befahlen die Verwaltungsbehörden den Deutschen das Tragen von sichtbaren Erkennungszeichen. In Breslau, Wohlau und im Grottkauer Gebiet mussten weiße Armbinden getragen werden. In Kreuzburg (Kluczbork) trugen Deutsche auf dem Rücken ein rotes “N” (Niemiec – Deutscher). Armbinden mussten u.a. auch in Oberglogau (Glogówek) und Hindenburg (Zabrze) angelegt werden.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges fanden Unmenschlichkeit und Grausamkeit in Schlesien noch immer kein Ende. Die Tragik jener Tage war, dass elementare Menscherechte auch weiterhin keine Gültigkeit hatten.
Insgesamt über 15 Millionen ereilte das schreckliche Schicksall menschlicher Verachtung, von denen über 2 Mill (1) das Leben haben lassen müssen auf Grund der Hungersnot in den Lagern, auf Grund des Mordens und auch auf Grund des unmenschlichen Traktierens der Menschen auf dem Transport bei der Vertreibung nach Deutschland.
Insgesamt verloren 4,9 Mill. Schlesier ihre Heimat, sei es durch Flucht oder Aussiedlung, von denen 840.000 (2) das Leben in den letzten Tagen des Krieges und bei der Vertreibung lassen mussten.
Nicht wenige Konzentrationslager wurden von den neuen Herrschern weiter verwendet, z.B. Auschwitz, wo man Deutsche eingesperrt hatte, die vertrieben werden sollten. Auf dem gesamten polnischen Territorium wurden damals 1200 Lager für Deutsche errichtet.
Ab Juni 1945 wurden Schlesier ausgesiedelt, obwohl es diesbezüglich noch kein Recht gab, denn die Potsdamer Konferenz ging erst am 2. August 1945 mit einem Kommunikee zu Ende, und erst dann erfuhr man, dass die Spitzenpolitique der Siegermächte die deutschen Gebiete bis zu einem Friedensvertrag unter polnische Verwaltung stellten. Die Aussiedlungsaktionen verliefen besonders brutal. Der polnische Prof. Krzysztof Skubiszewski schrieb in seinem Buch Die Übersiedlung der Deutschen nach dem II. Weltkrieg: “Bereits vor dem Abschluss der Potsdamer Konferenz wurden 400.000 Deutsche aus Polen ausgesiedelt.“ Zum Zeitpunkt dieser Feststellung war er der Meinung, Polen hätte richtig gehandelt. Erst im Herbst 1990, schon als Außenminister der neuen polnischen Regierung von T. Mazowiecki, gab er zu, dass die Vertreibung ein Unrecht war. Schlesier wurden grausam vertrieben. In aller Regel wurden die Menschen von herumstreunenden Dieben bestohlen und von der Miliz geschlagen. Oft hat man die Deutschen aus der Stadt getrieben und ihrem Schicksal überlassen. Ihre Häuser und Wohnungen und das sonstige Hab und Gut wurden von Polen sofort requiriert. Unzählige Opfer der Vertreibung berichteten, dass die polnische Zivilbevölkerung oft bereitwillig dabei mitmachte.
“Viele Menschen starben vor Hunger und Erschöpfung. Den Rest gaben ihnen Krankheiten und Epidemien, welche die Schlesier, die damals in primitiven Verhältnissen ihr Leben dahin fristeten, dezimierten.“(3)
Die Warschauer Zeitung ”Po prostu“ schrieb: ”Gleichzeitig mit den rechtmäßigen polnischen Regierungsvertretern kam eine Horde von Dieben, Opportunisten und Spekulanten. Den Schlesiern wurden Möbel geraubt, Ringe wurden von den Fingern gezogen, Häuser und Gärten besetzt.“
Ein Bewohner von Czarnowanz (ab 1936 Klosterbrück, ab 1945 Czarnowąsy) spricht über die damalige Zeit: »Die polnische Miliz wütete immer schlimmer. Wenn bisher nur die Sowjets geplündert hatten, so taten das jetzt auch die Polen. Vor der neuen Miliz war nichts sicher. Bis auf das eine, dass sie, im Gegensatz zu den Russen, keine Mädchen vergewaltigten. Die Miliz hatte die Rolle der Gestapo oder des NKWD übernommen und scheute sich nicht, zu rauben und plündern…«
Ein Bewohner von Schreiberhau (Szklarska Poręba) erinnert sich: »Die größte Angst hatten wir vor den ”Hitlermärschen“ zur Erinnerung an Hitler. Die Märsche wurden organisiert, damit wir uns darauf besinnen sollten, warum wir Hitler gewählt hatten. Ganze Dörfer wurden zusammengetrieben, also überwiegend Frauen und Kinder, welche ihn gar nicht gewählt haben konnten, auch Alte und Kranke. Diese Menschen wurden dann etwa drei Wochen lang durch die Gegend herumgeführt. Der Zug wurde von berittenen Polen angeführt und am Ende von Polen zu Pferd gesichert, dass niemand weglaufen konnte. Diese Züge erinnerten an die Durchmärsche von Häftlingen aus den Konzentrationslagern im Winter 1945«.(4)
Ein anderer Zeuge aus Oberschlesien sagte aus, was während der Verhöre grundlos inhaftierter Deutscher vorging: »Wenn die Tür zur Zelle geöffnet wurde, musste man in strammer Haltung melden: >Zelle 117, belegt mit deutschen Schweinen<. Und dann hagelte es Schläge, denn der kaum 20-jährige polnische Gefängniswärter war der Meinung, die Meldung wäre nicht präzise genug gewesen.
Eine neue Erfindung war das Verhörzimmer. Es wurde in einem ehemaligen Waschraum eingerichtet. Die Ausstattung bestand aus einem Tisch, mehreren Stühlen und einen Hackklotz. Viele der frisch Inhaftierten, egal ob Mann, Frau oder Mädchen, mussten sich gänzlich entkleiden und in diesem Zustand wurden sie verhört«.(5)
Ein Zeuge aus Kamenz (jetzt Kamieniec Zabkowicki) sagte: »Viele leiden heute noch an den Folgen der erlittenen Torturen. Die unglücklichen Opfer wurden entkleidet und mit den Beinen an ein Brett gebunden. Dann schlug man sie mit schweren Peitschen so lange, bis sie bewusstlos in ihrem Blut lagen. Nachts drangen schreckliche Schreie auf die Straßen. Radios und Lautsprecher wurden auf höchste Lautstärke gestellt, sie sollten diese Schreie übertönen, dämpfen. Diese Ungeheuer schreckten sogar nicht davor zurück, die Opfer so lange zu schlagen, bis sie ihren Geist aufgaben«.(4)
Das Vertreibungsverfahren war von Grund auf inhuman. Während die einen total beraubt und ausgewiesen wurden, bereicherten sich die anderen und sicherten sich so ihre Existenz, weil sie sich auf Seiten der Aussiedlungsbehörden befanden. Die Vertreibung an sich, die Beschlagnahme des Eigentums der Menschen, der Verlust aus der Heimat, an die sie sich mit familiären, emotionellen, historischen Banden gebunden fühlten, ist ein brutaler Akt, der bei den Betroffenen das tiefe Gefühl schweren, bitteren Unrechts erzeugen muss. Wenn dieses Gefühl zusätzlich noch von Schikanen, seitens der Vertreiber, begleitet wird, ist es besonders schmerzlich.
Um den Schein zu wahren, mussten die Deutschen oft eine Erklärung der freiwilligen Ausreise unterschreiben und auf jegliches Eigentum zu Gunsten des polnischen Staates verzichten. Trotzdem wurden ihnen auch die letzten Wertsachen bei der Kontrolle des Handgepäcks, welches 10-20 kg schwer sein durfte (abhängig davon, aus welcher Ortschaft sie kamen), abgenommen. Die deutschen Schlesier wurden als fremdes und feindliches Element aus ihren Häusern und von ihren Höfen vertrieben. Ihre Tragödien waren also nicht nur großen materiellen, sondern auch seelischen Ausmaßes. Man hat sie entwurzelt.
Die Vertriebenen hatten eine halbe bis zwei Stunden Zeit, um ihr Handgepäck von bis zu 20 kg pro Kopf zusammenzupacken. Danach wurden sie stundenlang, und in manchen Fällen tagelang, auf Sammelplätzen zurückgehalten. Bei jedem Versuch sich zu entfernen, drohte das Standgericht. Der Abtransport erfolgte unter Bedingungen, die der Menschlichkeit spotteten.
Da kann ich hier ein Beispiel eines Vertreibungszuges schildern. “Am 26 September 1945 frühmorgens gegen 5.00 Uhr begann die Razzia gegen die Deutschen in Leobschütz. Die polnische Miliz drang in die Häuser ein und jagte alle Deutschen auf die Straße. Die wenigsten hatten noch Zeit und Gelegenheit, etwas von ihren wenigen Habseligkeiten mitzunehmen. Man trieb alle in das Fabriklager Marschke und Zigler. Seit 6 Wochen befand sich dort die Bevölkerung des Dorfes Schlagenberg. Nachts mussten die Männer ungeschützt im Regen stehen. Es waren 3.000 Menschen in dem Lager zusammengepfercht. Am 27. September gegen 5.00 Uhr nachmittags wurden die Menschen für den Abtransport zur Bahn gebracht. Nachdem man 70-80 Personen in einen Viehwagon gepfercht hatte, begann die Fahrt gegen 8.00 Uhr abends. Niemand wusste wohin. Am nächsten Tag kam der Transport in Neisse an und wurde 4 Tage auf einem toten Gleis stehen gelassen. Da keine Lebensmittel mitgenommen worden waren, sich auch sonst niemand um Verpflegung kümmerte, schrieen die Menschen vor Hunger nach Brot. Aber keiner gab ihnen welches. Sobald die Wagen von der polnischen Miliz geöffnet wurden, konnten die hungernden Menschen aussteigen und Rüben und Kartoffeln auf den nächstliegenden Feldern suchen. Pater Ludwig, der sich unter den Vertriebenen befand, begrub in den Wällen der Festung Neisse die ersten 7 Toten. Sie waren verhungert. In der Nacht drang die polnische Miliz in die Wagen ein, nahm den Frauen die Handtaschen ab, durchwühlte sie, stahl, was ihnen gefiel; den Männern wurde das Geld genommen. Immer wieder wurde versucht, Frauen aus den Wagen herauszuziehen und sie zu vergewaltigen. An jeder Haltestelle wurden die Toten ausgeladen und an den Bahndämmen, in Schanzlöchern oder auf freiem Feld beerdigt. Kurz vor Görlitz wurden die Deutschen von den Russen und dem polnischen Begleitpersonal noch einmal gründlich ausgeplündert. Auf der 15-tägigen Fahrt (ca. 250 km) verstarben 88 Menschen. 137 Kinder und alte Leute starben in den nächsten Tagen.“
Die Vertreibung Deutscher aus Pommern, Ostpreußen, Schlesien usw. war für die Betroffenen eine ähnliche Tragödie, wie es die Repatriierung aus Lemberg und Wilna für die Polen war. Die meisten Polen durften aber den gesamten Besitz mitnehmen und mit vollgepackten Waggons kamen sie nach Schlesien, erhielten noch warme Häuser von gerade vertriebenen Deutschen. Die polnischen Repatriierten haben auch 7 Kirchen (die Innenausstattung) nach Oberschlesien mitgebracht. Die Deutschen haben ihr Hab und Gut oft nur in einem Koffer mitgeführt.
Man darf überlegen, ob sich beides gleichsetzen lässt: Die Deutschen, fast ausschließlich Greise, Frauen und Kinder, die für den vorangegangenen Nazi-Terror in Polen nicht verantwortlich waren, galten als vogelfrei, viele kamen vor der Vertreibung bei der Zwangsarbeit zu Tode. Die Polen wurden zwar von den sowjetischen wie den eigenen Behörden rüde behandelt, aber sie erlebten keine totale Rechtlosigkeit und Erniedrigung, und sie lebten nicht in ständiger Todesangst. Die Umsiedlung der Polen geschah in Einklang mit dem polnisch-sowjetischen Regierungsabkommen. Darin war auch vorgesehen, dass Hunderttausende Weißrussen und Ukrainer gleichzeitig Polen Richtung Osten verlassen sollen.
Die Potsdamer Protokolle von August 1945 sprachen von einer Überführung “in ordnungsgemäßer und humaner Weise.“ Die Umsetzung dieser Beschlüsse war jedoch oft unmenschlich und grausam.
Man kann selbstverständlich die verschiedenen Beweggründe der Rache verstehen, besonders kurz nach dem Krieg. Man sollte sich jedoch entsinnen: Kein Volk ist klein oder groß dadurch, was seine Vorfahren in seinem Namen geschaffen haben, sondern dadurch, welche Lehre die heute Lebenden daraus gezogen haben und auch, wie sie das Erbe für die Zukunft bewahren werden.
Es ist ein zweisprachiges Buch, Powiedzcie sobie wszystko (Sich alles sagen), von einem polnischen Schriftsteller und Vordenker, J.J. Lipski, erschienen, in welchem u.a. über das Thema der Vertreibung folgendes steht: ”Das Prinzip der kollektiven, geschichtlichen Verantwortung muss als moralisch-strafrechtliche Regel zurückgewiesen werden, eine wesentlich kleinere Schuld ist auch eine Schuld“, und vor einigen Jahren schrieb derselbe J.J. Lipski: ”Uns angetanes Böses, auch das schlimmste, ist keine und kann keine Entschuldigung dieses Bösen sein, das wir selbst zugefügt haben.“
Ein polnischer Journalist schrieb im Jahre 1996 zum Thema der Vertreibung der Deutschen aus Schlesien: ”Oft war ein gut erhaltener Hof, auf den ein Milizionär oder jemand vom Sicherheitsdienst ein Auge geworfen hatte, Grund zur Aussiedlung der Eigentümer unter dem Vorwand der »Zugehörigkeit zum deutschen Volk«. Diese Methode wurde sogar noch in den siebziger Jahren praktiziert, besonders im Oppelner Land (…) Ein Teil von ihnen wurde, vor der Deportation in den Westen, in Lager wie zum Beispiel Lamsdorf (£ambinowice) eingesperrt.“
In solchen Lagern, ob es im Lamsdorf, Swientochlowitz, Jaworzno war, herrschten unmenschliche Bedingungen. Eine hohe Sterberate war Resultat unzureichender Verpflegung und das gänzliche Fehlen von medizinischer Betreuung. Auch die Schikanen, Handgreiflichkeiten seitens der Lageraufsicht, die bis zu Todesfällen führten, waren keine Seltenheit. Im Lager Lamsdorf wurden über 8000 Menschen aus 14 umliegenden Dörfern inhaftiert, von denen nach einer Zusammenstellung eines deutschen Arztes, Dr. Esser, über 6000 verstorben sind. Die polnische Seite fand in den letzten Jahren einen Teil der Lagerliste und stellte fest, dass von 2450 aufgelisteten Menschen die Hälfte im Lager gestorben war, von denen etliche umgebracht wurden.
Der damals 20-jährige Lagerchef Gemborski steht zur Zeit vor einem Gericht in Oppeln. Man legt im zu Last, dass er am Tage, als eine von den Wachmannschaften angezündete Baracke brannte, mindestens 48 Leute erschossen hatte.
Die Menschen in den vielen Lagern wurden schikaniert und misshandelt. Die Sterberate war, besonders unter Alten, Kranken und Kindern, sehr hoch. Die genaue Zahl der auf diese Weise Umgekommenen ist nicht zu ermitteln, da sie in Massengräbern verscharrt, und diese nicht als Grabstätten kenntlich gemacht wurden.
Am 2. Juli 1945 erließ der Wojewode A. Zawadzki eine weitere Verordnung, die den Deutschen verbot, auf dem Gebiet des vorkrieglichen Oberschlesien zu wohnen. Dasselbe galt für Niederschlesien, wo man alle Deutsche vertrieben hat, außer 35.000 aus einer Gegend von Waldenburg. Diese wurden zwangsweise zurückgehalten, um den Betrieb etlicher Kohlengruben zu erhalten und Polen für die Grubenarbeit anzulernen. Das Oppelner Land war von der Vertreibung ausgenommen, weil hier die Verifizierung (Klassifizierung) der Bevölkerung erst durchgeführt werden musste. Die polnische Regierung war der Meinung, dass in Oberschlesien nur wenige Deutsche lebten. Die meisten waren nach ihrer Ansicht Polen. Zawadzki sagte damals: »Wir wollen in unserem Land keinen einzigen Deutschen, aber auch nicht eine einzige polnische Seele geben wir den Deutschen ab«.
Die Verifikation (Klassifizierung) begann schon im März 1945. Es musste ein relativ unkomplizierter Fragebogen mit Personalangaben ausgefüllt und folgender Satz unterschrieben werden: ”Ich bin polnischer Nationalität und bitte um die Ausstellung einer Bescheinigung der Angehörigkeit zu dieser Nation.“ Da die Schlesier sich nicht verifizieren lassen wollten, wurde im August 1945 ein erweiterter Fragebogen, der alles erleichtern sollte, eingeführt. Es reichte, wenn man die polnische Sprache teilweise verstand oder ein polnisches Gebetbuch bzw. einen polnischen Kalender hatte, die Teilnahme an Ausflügen oder Fahrten nach Polen beweisen konnte.
Die Sprache erwies sich als unpassendes Kriterium, denn es gab deutsche Oberschlesier, die oft beide Sprachen gut beherrschten.(6)
Da schrieb ein Pole – ”Eben Polen haben im Oppelner Schlesien die Volksliste eingeführt. Wenn die nazideutsche Volksliste eine Wahl der Volkszugehörigkeit zuließ und zwischenstufliche Kategorien beinhaltete, so beruhte die polnische nachkriegliche Liste auf dem Prinzip: entscheide dich, bist du Pole oder Deutscher?“
Die Mängel in der Tätigkeit der Verifikationskommissionen resultierten u.a daraus, dass es Personen gab, welche das eigene Interesse ihrer Familien und Bekannten über die Lösung des Problems stellten.
Der Wojewode Zawadzki sagte über Funktionäre des Sicherheitsapparats: ”Manchmal geschah es, dass einer, dem ein Karabiner in die Hand gedrückt wurde, den Kopf verlor und es sich erlaubte, von Staatsbehörden ausgestellte Dokumente zu zerreißen – Papiere, die für das Leben von ganzen Familien entscheidend waren. Dokumente wurden zerrissen, die Leute kamen daraufhin ins Lager. Das ist ein Skandal und ein Verbrechen.” Zu einem späteren Zeitpunkt sagte er: “…In einer größeren Anzahl von Ortschaften gelangten in viele Ämter Unzuverlässige, welche diese Politik nicht verstanden und auch nicht imstande waren, sie zu verstehen, oder es waren auch Menschen eindeutig bösen Willens, auf persönliche Vorteile bedacht.”
Viele Bauern wurden von ihren Bauernhöfen in verschiedene Lager gebracht, auch aus meinem Geburtsdorf Zyrowa wurden sie in die Lager für Auszusiedelnde nach Blottnitz (ab 1936 Quellengrund, nach 1945 Błotnica Strzelecka) und Groß Strehlitz abtransportiert. Von dort sollten sie in die deutschen Besatzungszonen gebracht werden. Was aber wunderte war, dass sie alle von den größten und schönsten Höfen kamen. Es ging hier selbstverständlich gar nicht um die Frage der Nationalität, sondern um die Gehöfte, welche polnische Repatriierte aus den Gebieten östlich des Bug erhalten sollten. Von solchen Vorgängen wusste man sehr wohl auch ”oben“, denn auf einer Sitzung des Wojewodschaftsrats im Januar 1946 in Kattowitz sagte A. Zawadzki: »Es wiederholen sich immer wieder Fälle, dass man die Deutschen nicht dort sucht, wo sie sich tatsächlich befinden, sondern dort, wo es die schöneren Gehöfte oder Wohnungen gibt.« Im Jahre 1946 gab es 12.000 Streitverfahren um Landwirtschaften zwischen der einheimischen Bevölkerung und den polnischen Repatriierten.
Ein Kapitel für sich war die negative Reaktion polnischer Neusiedler aus anderen Teilen Polens auf die Verifikation. Im Kreis Leobschütz verweigerten polnische Repatriierte den Einheimischen den Zutritt zu ihren eigenen Häusern. Im Bericht einer Verifikationskontrolle im Kreis Neustadt (Prudnik) für die Zeit vom 1.-15. Mai 1946 ist zu lesen: ”Nicht selten kam vor, dass ein repatriierter Pole einem Einheimischen mit Totschlag drohte, sollte sich dieser verifizieren lassen. Solche Fälle haben sich in Zülz (Biala Prudnicka) zugetragen.“
Bis zum 21. Dezember 1945 wurden 358.961 Personen unter die Lupe genommen. Davon erhielten nur 79.695 Personen positive Bescheide. Der Großteil der Bevölkerung wollte die Verifizierung nicht und nahm auch nicht an ihr teil. Um den Widerstand gegen die Verifikation zu brechen, griff man zu radikalen Maßnahmen. Im September 1945 wurde das Dorf Hammer (Kuznia Ligocka) bei Friedland (Korfantow) ausgesiedelt. Die Bewohner wurden in das Lager Lamsdorf (Łambinowice) gebracht. Auch diese Maßnahme sollte andere Ortschaften zum schnellen Einreichen der Verifikationsanträge bewegen.
Viele beugten sich dem auf diese Weise ausgeübten, übermäßigen politischen Druck. Die Angst vor der Vertreibung aus der Heimat war groß. Man wusste nicht, was den Abtransportierten drohte. Nach den schweren Kriegsjahren wollte jeder leben, nicht nochmals womöglich tödlichen Gefahren ausgesetzt sein, jetzt, da der Friede endlich im Land einkehren könnte.
Das Schreiben des Wojewoden vom 17. April 1946 gab die Anweisung, dass ein Deutscher in Schlesien verbleiben dürfe, wenn er eine offizielle Erklärung der Loyalität zum polnischen Staat ablege. Im Herbst 1946 gaben sehr viele ihre provisorischen Bescheinigungen zurück und äußerten den Wunsch zur Ausreise nach Deutschland.
Die Verifikation wurde Mitte des Jahres 1949 mit der automatischen Verleihung der vorläufigen polnischen Staatsbürgerschaft an alle, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht nach Deutschland ausgereist waren, abgeschlossen, (7) auch hier wendete man die Methode der vollendeten Tatsachen an.
Noch im Jahre 1950 verweigerte ein wesentlicher Teil von Schlesiern, z.B. im Kreis Groß Strehlitz, die Annahme der Bestätigung der Staatsbürgerschaft und die Erklärung der Treue zum polnischen Volk.
Auf der Grundlage der Verordnung vom 8. Januar 1951 konnten alle Personen, die früher die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, gleich ob sie deutscher oder polnischer Abstammung waren, polnisch oder deutsch sprachen, polnische Identitätsausweise erhalten. Auf Grund dieser Verfügungen versuchte man diejenigen, die noch nicht ausgesiedelt worden waren, zum Verbleiben im Land zu bewegen. Oft wurde hier Gewalt angewendet. Mit Nötigung, Erpressung und letztendlich Prügeln zwang man die Betroffenen, die entsprechenden Dokumente zu unterschreiben.
Angesichts der Diskriminierung wählten einige Oberschlesier den Weg der Verifikation, um unter erträglichen Bedingungen in der Heimat verbleiben zu können.
Eine Zeugin der damaligen Geschehnisse schrieb an ihre Verwandten in Deutschland: ”Mehrere Male wurde ich einzeln verhört. Auf die immer ein- und dieselben Fragen erklärte ich: »Mein Gewissen erlaubt es mir nicht. Ich war Deutsche, als es mir gut ging und will es auch in schweren Zeiten bleiben, auch wenn es das Leben kosten sollte«. Dafür bekam ich Ohrfeigen. Herr Weber begann mir zu drohen: »Sie müssen das als zukünftige Polin unterschreiben, das ist Befehl«. Darauf ich: »Sie stellen mir eine Frage, die ich mit ja oder nein beantworten soll. Ich kann sie aber nicht mit ja beantworten und will alles ertragen, was damit verbunden ist«. Wieder wurde ich geohrfeigt. Dann schoben sie mir ein Liederbuch zu: Ob ich das lesen könne? Ich verneinte, weil ich überhaupt nicht polnisch lesen konnte. Wieder Schläge ins Gesicht, mit den Worten: »Hier ist Polen! Hier ist Polen!« Als ich mich auch jetzt nicht erklärte, schrieen sie, ich solle den Mantel und die Oberbekleidung ausziehen, während der ”Herr“ die Tür schloss. Dann musste ich mich über einen Stuhl bücken und wurde mit Gummiknüppeln geschlagen. In den Pausen fragten sie höhnisch, ob es weh tue. Ich presste aber die Zähne zusammen und gab keinen Laut von mir. Im Zimmer waren noch zwei Beamte, alle in Zivil. Einer saß mir gegenüber und beobachtete den ganzen Vorgang mit spöttischem Lächeln.“(8)
Für die deutschen Oberschlesier waren das schwerste Zeiten. Sie taten was befohlen wurde, denn man wollte ja leben. Kinder mussten zur Schule, in die Lehre geschickt werden. Man konnte sich nicht gegen die polnische Übermacht stellen, denn dann drohten schmerzliche Konsequenzen.
Der Erste Sekretär des Wojewodschaftskomitees der Polnischen Arbeiterpartei in Kattowitz, Edward Ochab, wandte sich in einem geheimen Schreiben vom 2. August 1947 an die Parteikomitees der Städte und Kreise: ”Wir müssen diese Personen aufgreifen, welche sich privat oder öffentlich der deutschen Sprache bedienen. Wir müssen sie als Deutsche aus der polnischen Bevölkerung eliminieren, das heißt, aus dem polnischen Staatsgebiet ausweisen (…) Es müssen auch jene Personen entlarvt werden, die ihr Mitleid gegenüber deutschen Kriegsgefangenen bezeugen und ihnen Unterschlupf und materielle Hilfe gewähren. Man soll sich mit Anzeichen der Sympathie gegenüber Deutschen befassen. Diese Sympathie drückt sich im Gebrauch der deutschen Sprache, dem Lesen deutscher Bücher, in der Pflege deutscher Soldatengräber, in der Erhaltung deutscher Aufschriften in privaten Wohnungen aus.“
Deshalb wurden alle, die beim Deutschsprechen ertappt wurden, vor Gericht gestellt. Mein Bekannter aus Gleiwitz musste 500 Zloty bezahlen, die Begründung war: “denn er sprach in seinem Hof deutsch und deshalb hat er sich gegen den polnischem Staat geringschätzig verhalten und Polen verunglimpft.“ Das gleiche passierte einem Mann in Gogolin, der auch 500 Zl zu zahlen hatte, denn er sprach deutsch auf der Straße.
Auch die Kirche hat zur Polonisierung u. Vertreibung beigetragen. Primas August Hlond, der im Juni 1945 aus dem Ausland nach Polen zurückkehrte, hat eigenmächtig die deutsche Diözese in Breslau mit polnischen Administratoren besetzt und die deutschen Geistlichen mit Hilfe der neuen Administratoren (Kominek und Milik) aus Schlesien vertrieben. Unter anderem wurde Bischof Nathan aus Branitz an einem kalten Wintertag, obwohl er hohes Fieber und Schwierigkeiten mit dem Herzen hatte, in die Tschechei ausgewiesen. Man verbot der Krankenschwester, die ihm pflegte, mitzufahren. Bischof Nathan starb drei Wochen später.
Hlond verbreitete, dass er vom Papst besondere Vollmacht für die Errichtung einer polnischen Diözese hätte, obwohl Rom nichts davon wusste. Gleichzeitig wurde in den Kirchen das Beten, Singen und Messefeiern in deutsch verboten. Alles musste in polnischer Sprache abgehalten werden, auch die Beichte. Glücklicherweise hatten einige Kirchen, wie in meinem Dorf Zyrowa, noch Pfarrer die beider Sprachen mächtig waren. Deswegen konnte man auch deutsch beichten, obwohl es verboten war und ein Pfarrer, dem man eine auf deutsch abgenommene Beichte hätte nachweisen können, ganz große Schwierigkeiten bekommen hätte. In Orten, wo man nur polnisch beichten konnte, haben diese Christen jahrelang am Hl. Abendmahl nicht teilgenommen, was für einen Oberschlesier schier unerträglich ist.
Die polnische Sicherheitspolizei stand oft vor der Kirche und nahm den Gläubigen die deutschen Gebetbücher ab.
In einem Buch schreibt Bischof Kominek: “Die Pfarrer enthielten Anweisungen über die Anwendung der polnischen Sprache im öffentlichen wie auch kirchlichen Bereich.“(11)
Auf den Friedhöfen wurden deutsche Grabsteine zerstört, umgeworfen und dann mit Hämmern in Stücke gehauen oder die deutschen Inschriften herausgemeißelt. In den Kirchen hat man alle deutschen Schriften entfernt, deshalb werden Sie hier auf dem Annaberg keine deutsche Schrift finden, obwohl die Kirche fast 500 Jahre zur österreichisch-deutschen Kultur gehörte. Es wurden Wandbehänge mit deutschen Sprüchen wie: “Guten Morgen“, “Guten Appetit“ heruntergerissen, emaillierte oder gläserne Gefäße mit Aufschriften wie: “Zucker“, “Mehl“, “Pfeffer“ wurden zerschlagen. Kachelöfen mit Sinnsprüchen wie: “Üb immer Treu und Redlichkeit“ wurden ruiniert, deutsche Bücher verbrannt oder beschlagnahmt.
Sogar der polnische kirchliche Administrator für das Oppelner Schlesien, Kominek, versucht in einem Buch, (9) sich auf die Seite der Zerstörer zu schlagen, indem er schreibt: “Es wurden keine Spuren des Deutschtums gewalttätig beseitigt, was uns oft bestimmte deutsche nationalistische Kreise einreden wollten. Es gab aber manchmal nächtliche Überfälle von Randalierern auf deutsche Friedhöfe…“
In der Zeitung ”Trybuna Opolska“ berichtete man darüber, dass nach dem Krieg die Schuhfabrik in Ottmuth (Otmęt) und die Kokerei in Deschowitz (Zdzieszowice) gebaut wurden. Darauf antwortete ein Mann in einem anonymen Brief, das sei unwahr, denn beide Betriebe hätten schon vor dem Krieg existiert. Der polnische Sicherheitsdienst gab sich die Mühe, dem ”geheimnisvollen Korrespondenten“ mit Hilfe eines Graphologen auf die Spur zu kommen. Er wurde zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt.
Eine Frau aus Oppeln schrieb einen Brief an ihre Schwester in Deutschland, in dem sie ihr mitteilte, dass man Lebensmittel nur auf Bezugskarten kaufen könne, wenn überhaupt welche da seien. Die Geheimpolizei fing den Brief ab und die Frau musste wegen Verunglimpfung Polens ins Gefängnis.
In den 50-ziger Jahren wurde auf einer Silberhochzeit in meinem Dorf Zyrowa das deutsche Volkslied: “Am Brunnen vor dem Tore“ gesungen. Kurz darauf wurde der Jubilar ins Groß Strehlitzer Gefängnis eingeliefert.
In ganz Polen konnte man deutsch lernen, nur bei uns im Oppelner Schlesien war es bis 1988 verboten.(10)
In einem polnischen Buch kann man lesen: ”Bis in die neueste Zeit fehlt es an Verständnis, dass der Verlust der Muttersprache, besonders wenn er auf gewaltsame Weise erfolgt ist, nicht automatisch den Verlust der nationalen Identität bedeuten muss.”(11)
Deutsche Radiosender wurden rund um die Uhr gestört. Es gab keine deutschen Zeitungen. In den Schulen lernte man nur die polnische Sprache. Und es wurde den Kindern der Hass gegen die Deutschen eingeflößt, z.B. wurde das Buch “Die Kreuzritter“ von H. Sienkiewicz als Pflichtlektüre eingeführt. Darin werden die Kreuzritter in sehr übler Weise und die jetzigen deutschen Bewohner mit ihnen gleichgestellt, die Polen dagegen durchgehend als edle Menschen hingestellt. Man hat die Geschichte Schlesiens verfälscht und lehrte unter anderem, dass Schlesien immer ein polnisches Land gewesen sei, die Deutschen es mit Schwert und Krieg erobert hätten, und deshalb die Polen unter dem deutschem Joch hätten leben müssen. Die Wahrheit aber ist, dass der polnische König Kazimir der Große im Jahre 1335 ein Dokument unterschrieb, in dem er “für ewige Zeit“ auf Schlesien verzichtete. Er musste das tun, denn die Piasten haben sich von Polen gelöst und huldigten dem böhmischen König. Böhmen gehörte zum Römischen Reich Deutscher Nation. Alles was man in der Nachkriegszeit in der Schule über Deutschland lernte, wurde extra falsch gezeigt.
Falsche Informationen über Deutschland hatte man auch in den Zeitungen im Radio und Fernsehen verbreitet, so dass die Menschen regelrecht zum Deutschenhass erzogen wurden. Die Einwohner beschimpften die Deutschen mit “Schwab“ “Hannys“, “Goebbels“ und “Hitlermensch“.
In einem Schreiben vom 2. September 1947 verfügte der Wojewode Aleksander Zawadzki : “Die Durchführung in Sachen Polonisierung deutscher Nach- und Vornamen hat in beschleunigter Weise zu erfolgen.“ Jeder, der einen deutschen Vor- und Nachnamen hatte, musste sich bei der Gemeinde melden, wo man ihm einen polnischen Namen vorschlug. Wenn der Betroffene nicht willig war den Namen zu ändern, erhielt er für die gesamte Familie keine Lebensmittelkarten oder durfte er keiner Arbeit nachgehen.
Wie man bei der Namensänderung vorging zeige ich an einigen Beispielen betroffener Familien aus meinem Heimatdorf Zyrowa.
Nach dem Krieg wohnten in der sogenannten Kurzen Gasse in 14 Häusern 18 Familien, insgesamt 92 Personen. Keine der Familien entging der Namensänderung, ganz gleich, ob der Vor- oder Nachname in Frage kam.
Man änderte den Namen von Franz Schultz, einem Vater von zwei Söhnen. Den Nachnamen der Familie des ersten Sohnes Rochus Schultz änderte man in Michalik und die Vornamen von dessen Söhnen wiederum von Günther in Jan, Herbert in Józef und von Werner in Franciszek.
Der zweite Sohn, Franz, hieß weiter Szulc, nur der Name wurde polnisch geschrieben, aus dem Vornamen Franz wurde plötzlich Franciszek und seine Ehefrau Hedwig wurde in Jadwiga umbenannt.
Zwei Söhne eines Vaters (Schultz) tragen zwei völlig unterschiedliche Nachnamen: Michalik und Szulc (polnisch geschrieben).
Der Nachname Werner wurde in Kozok geändert. Aus dieser Familie stammen drei Ordensschwestern und ein Bischof, deren Namen unverändert blieben…., weil sie sich nach dem Krieg in Österreich niedergelassen hatten. Bischof Christian Werner besuchte den Geburtsort seines Vaters, Zyrowa, und wollte eine hl. Messe für die Familie zelebrieren, aber für welche Familie, Kozok oder Werner? Aus dieser Klemme zog man sich, indem der Gottesdienst “für die Familie des Bischofs“ abgehalten wurde. Alle wussten Bescheid.
Den Namen Willner änderte man in Wilczek. Aus Weiß wurde Grabowski, aus Schulwitz wurde Kowolik, aus Aust wurde Adamski. Eine zweite Familie Aust hieß jetzt Piotrowski. Gottfried wurde zu Jerzy, ein anderer Gottfried zu Jan, Rudolf zu Karol, Alfred zu Jerzy. Jerzy war der meist angewandte polnische Vorname. Zum Jerzy wurden alle Alfreds, Herberts, Georgs, Huberts und Gottfrieds umbenannt.
Solche Namensänderungen wurden in ganz Schlesien vorgenommen.
Als man 1952 die neuen polnischen Personalausweise aushändigen wollte, haben viele Schlesier das Dokument nicht abgeholt oder die Annahme verweigert.
Im Jahre 1956 hat die Kommunistische Partei im Oppelner Schlesien bei einer Versammlung festgestellt, dass in Schlesien immer noch Deutsche wohnen und gemeint, dass man diese Menschen als deutsche Minderheit anerkennen sollte. Die Regierung in Warschau stoppte die Oppelner Initiative. Die schon mit der Information gedruckte Zeitung “Trybuna Opolska“ musste eingestampft werden.
Es wurde immer behauptet, dass in Polen keine Deutsche wohnen.
Bei der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrags vom 18. November 1970 gab die polnische Seite zu, dass ”bis heute in Polen aus vielerlei Gründen (z. B. Bindung an den Geburtsort), eine gewisse Anzahl eindeutig Deutscher und Personen aus gemischten Familien verblieben ist“.
Auf einem Treffen anlässlich des 40. Jahrestags der Kapitulation Deutschlands sagte W. Jaruzelski, der Premierminister und Erste Sekretär der Kommunistischen Partei Polens, in Breslau (Wroclaw) vor Offizieren: »Um eine ethnische Teilung herbeizuführen zu wollen, will man das künstliche Problem schaffen, dass es in Polen eine deutsche Minderheit von einer Million gibt«.
Der polnische Primas, Kardinal Josef Glemp, stimmte sogleich zu. Auch er bestritt die Existenz einer deutschen Minderheit in Polen. Während einer Wallfahrt am 15. August 1984 in Tschenstochau sagte er: »Wir können nicht reinen Gewissens Gebete in fremder Sprache abhalten für solche, die diese Sprache gar nicht kennen und sie erst in der Liturgie kennen lernen wollen. Es kann nämlich jemand nicht Ausländer sein, der das Ausland nicht gesehen hat« (12). Der Primas hat in seinem Stammbaum deutsche Ahnen.
Im selben Jahr schrieb Kardinal Glemp einen Brief an den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner, in welchem er behauptete, in Polen gäbe es keine deutsche Minderheit, infolge dessen sei auch eine deutsche Seelsorge überflüssig.
Nach der Entstehung der freien Gewerkschaft Solidarität haben immer mehrere Gruppen in verschiedenen Gegenden von Polen angestrebt, die Deutschen als Verband der Deutschen in Polen registrieren zu lassen z.B. in Beuthen, Bromberg, Kattowitz, Danzig und Warschau. Die Regierung war die ganze Zeit dagegen.
Im Jahre 1984 wollten sich in Kandrzin, Tichau und Deschowitz (Odertal) neue Gruppen unter dem Namen “Verband der Deutschen in Polen in der Wojewodschaft Oppeln“ registrieren lasen. Das Gericht in Oppeln lehnte die Registrierung, ab.
Bei Personen, die auf der Liste der Organisatoren standen, war die Sicherheitspolizei oft vorstellig. Man hat die Menschen eingeschüchtert, mit Gefängnis bedroht und ihnen nahegelegt, nach Deutschland auszuwandern, was viele auch getan haben.
Am Anfang des Jahres 1988 hat Johann Kroll aus Gogolin die “Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Deutschen Minderheit im Oppelner Schlesien“ registrieren lassen. Das Gericht in Oppeln erteilte am 24. Juli 1989 der Gruppe eine Absage. Immer mehr Zeitungen schrieben von “angeblichen Deutschen in Schlesien.“ Die Gruppe um Kroll wandte sich an das Höchste Gericht in Warschau, das dem Gericht in Oppeln empfahl, den Antrag der “Sozial-Kulturellen Gesellschaft“ mal zu prüfen. Am 16. Februar 1990 wurde der Verein registriert.
Die Wojewodschaftskomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, PVAP (PZPR) in Oppeln und Kattowitz veröffentlichten am 9. Juni 1989 eine Erklärung, in welcher wir u.a. lesen: ”…es war eine falsche Einstellung der polnischen Behörden und der zugewanderten Polen zu den Schlesiern… Das in der polnischen Bevölkerung verbreitete negative Stereotyp des Schlesiers als nicht vollwertigem, moralisch zweideutigem Menschen, besteht bis heute.
Obwohl bereits über 50 Jahre seit Kriegsende vergangen sind, ist die Integration der Einheimischen der Wojewodschaften Oppeln und Kattowitz im polnischen Staat immer noch ein sozialpolitisches Problem. Im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg waren Schlesier aus moralischer Sicht als minderwertig eingestuft worden und Schikanen und Einschränkungen im Bereich der Verwaltung ausgesetzt“.
Die Kattowitzer Zeitung “Dziennik Zachodni“ (13) schrieb im Jahre 1989: ”Denn polnisches Verschulden nach dem II. Weltkrieg Deutschen gegenüber ist auch eindeutig. Man sollte sich nicht damit rechtfertigen, man hätte doch den Krieg nicht angefangen.“
Seit 1989 hat sich einiges zum Besserem gewendet. Das heutige Treffen hier auf dem Annaberg ist ein Beweis dafür. Noch 1989 durfte der Bundeskanzler Helmut Kohl nicht auf den Annaberg kommen. Es hat sich viel verändert, obwohl noch einiges zu tun ist.
Ewald Stefan Pollok (September 2001)
- Aussage des Bundeskanzlers H. Kohl während des deutsch-polnischen Treffens in Kreisau
- Ackermann V. Dr., Die Aussiedlung der Schlesier seit 1945 in „Oberschlesien als Brücke zwischen Polen und Deutschen 1990
- M. Podlasek, Vertreibung.. . S.141
- M. Podlasek, Wypêdzenie (Vertreibung)… S.133
- M.Podlasek, Vertreibung S. 141
- J. Misztal, Weryfikacja narodowosciowa na Slasku Opolskim 1945-1950” (Die Verifikation in Oppelner Schlesien in Jahren 1945-1950) Herausg. Schlesisches Institut Oppeln 1984
- M. Szmieja, Polacy, Niemcy czy Ślązacy. Rozważania o zmienności identyfikacji narodowej Ślązaków” (Polen, Deutsche oder Schlesier)
- M. Podlasek, Wypêdzenie (Vertreibung)…, S. 167
- B. Kominek, Im Dienste der Wiedererlangten Gebiete.(unter der Bezeichnung werden Schlesien, Ostpreußen und Mazuren verstanden) Breslau 1977.
- „Kwartalnik Opolski” (Vierteljahresschrift „Oppelner Schlesien) 1995
- H. Karp, Polacy, Niemcy…,Heraug. Unia Kattowitz 1993, S 58-59
- T. Urban, Niemcy w Polsce, Inst. Sl. W Opolu 1994
- J. Görlich, Dziennik Zachodni 1989
Quelltext: https://www.silesiainfo.net/SilesiaArchiv/SlonskDe/Slonsk/Aepo/SituationDutschenVolksgruppe1989.htm