Alternativ-Empfehlungen zur Behandlung der deutsch-polnischen Geschichte in den Schulbüchern
Aus dem Buch:
Materialien zu deutsch-polnischen Schulbuchempfehlungen – eine Dokumentation kritischer Stellungnahmen.
Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen (1980), 198 Seiten
Alternativ-Empfehlungen zur Behandlung der deutsch-polnischen Geschichte in den Schulbüchern*)
von Joseph Joachim Menzel, Wolfgang Stribrny, Eberhard Völker
Seite 121 – 148
Unvollständigt,
Inhalt: Vorwort,
Empfehlungen: 13, 16, 17, 22, 24
Vorwort
In der gespannten politischen Atmosphäre vor Ratifizierung der umstrittenen Ostverträge sind im Februar und April 1972 von einer gemeinsamen Subkommission der deutschen und der polnischen UNESCO-Kommission ohne eingehende Vorbereitung, aber mit großem publizistischen Aufwand 31 „Empfehlungen zur Behandlung der deutsch-polnischen Beziehungen in den Schulbüchern der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland“ – von der Urzeit bis zum Jahre 1945 reichend – beschlossen worden. 1975 kamen 6 weitere Empfehlungen für die Behandlung der Nachkriegszeit (1945-1975) hinzu. Ein Jahr später wurden die bereits vorauspublizierten Texte redaktionell überarbeitet und in nunmehr insgesamt 26 historischen und 1 geographischen Empfehlungen zusammengefaßt. Dabei entledigte man sich gleichzeitig eines Teils des überflüssigen ideologischen und tagespolitischen Ballasts der Empfehlungen aus dem Jahre 1972. 1977 erschienen die überarbeiteten Texte in einem Paralleldruck in polnischer und in deutscher Sprache: ,,Empfehlungen für Schulbücher der Geschichte und Geographie in der Bundesrepublik Deutschland und in der Volksrepublik Polen“ (Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung, Bd. 22).
Renommierte wissenschaftliche Institutionen, die seit vielen Jahrzehnten im Überschneidungsbereich deutsch-polnischer Geschichte tätig sind, wie z. B. die ostdeutschen Historischen Kommissionen, das Institut für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte, der Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat und das gleichnamige Forschungsinstitut, hatten trotz von der Sache her gegebener Kompetenz und teilweise erklärten Angebots keine oder nur eine völlig unzureichende direkte Möglichkeit der Mitwirkung an den deutsch-polnischen Schulbuchgesprächen. …
*) Die Alternativ-Empfehlungen der drei Fachleute in deutsch-polnischen Geschichtsfragen entstanden als erster Markierungsversuch einer Diskussionsposition zur Schrift des Georg-Eckert-Instituts auf Anregung und mit Unterstützung des Bundes der Vertriebenen und der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen; um ihr Zustandekommen war besonders der verstorbene Generalsekretär des BdV, Dr. Neuhoff, bemüht. Die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen brachte sie zuerst im Sommer 1978 als Manuskript vervielfältigt heraus. Die nachfolgende Wiedergabe wurde der späteren Herausgabe durch den Verlag v. Hase und Koehler GmbH, Mainz, entnommen.
Um die Neuformulierungen und Auslassungen im Druck von der Fassung des Eckert-Instituts unterscheiden zu können, ist die Kenntnis des Vorworts nötig. Von den verschiedenen Kultusministern, darunter auch den Verfechtern der Empfehlungen des Eckert-Instituts – wurden die Alternativen als bemerkenswerte Diskussionshilfe begrüßt, von einigen Mitgliedern der deutsch-polnischen Kommission aber pauschal – ohne eine sachliche Auseinandersetzung – angegriffen.
Empfehlung 13.
Polenpolitik des Deutschen Reiches
Bei der Behandlung des Deutschen Kaiserreiches sollten die Polenpolitik Bismarcks und der Volkstumskampf, vor allem in den Provinzen Posen und Westpreußen, berüicksichtigt werden. Bei der Polenpolitik sollte – vom Kulturkampf ausgehend – auf die verschiedenen restriktiven MaBnahmen wie die Einstellung des polnischen Unterrichts, die Ausweisung illegal eingewanderter nichtpreußischer Staatsbürger (rund 30 000) sowie auf die Ansiedlungspolitik (1886-1916 insgesamt 1439 Hofstellen mit 461 000 ha, davon 334000 ha aus deutschem Besitz und 127 00 ha aus polnischem Besitz in den Provinzen Posen und Westpreußen) hingewiesen werden. Dabei sollte deutlich werden, daß die Polenpolitik unter Bismarcks Nachfolgern zwar Schwankungen unterlag, im ganzen aber doch eine Zurückdrängung des polnischen und eine Stärkung des deutschen Bevölkerungsanteils mit verschiedenen Mitteln anstrebte. Der Erfolg blieb jedoch aus; der deutsche Bevölkerungsanteil ging (.. .) infolge des stärkeren polnischen Geburtenzuwachses leicht, aber kontinuierlich zurück (in Westpreußen von 69 % im Jahre 1853 auf 64,5 % im Jahre 191 0, in der Provinz Posen von 41 % im Jahre 1871 auf 38 % im Jahre_1910). Andererseits entwickelten die Polen in Preußen Elemente einer künftigen eigenen Staatlichkeit, bildeten eine moderne Gesellschaft heraus und nahmen am allgemeinen Fortschritt teil. In diesem Zusammenhang sollte auch die polnische Nationalbewegung in Oberschlesien behandelt werden, welche von außen (von Krakau und Posen) her ins Land getragen wurde, hier aber erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich Anklang fand. Sie wurde durch die zeitweise Einführung des Hochpolnischen als Schulsprache, durch deutsche Schulmänner in der preußischen Schulverwaltung aus humanistischen und christlichen Erwägungen heraus, begünstigt.
Erläuterungen:
Was hier für die preußische Polenpolitik des 19. Jahrhunderts gefordert wird, muß selbstverständlich auch für die polnische Politik gegenüber der deutschen Minderheit der Zwischenkriegszeit sowie den nach 1945 besonders in Oberschlesien und Ostpreußen verbliebenen Deutschen gelten (Hinweis auf verschiedene restriktive Maßnahmen wie Einstellung des deutschen Unterrichts, Verbot der deutschen Sprache in Öffentlichkeit und Kirche, Entfernung deutscher Inschriften, Denkmäler etc.). Dazu wird aber von der Unesco-Schulbuchkommission an der entsprechenden Stelle kein Wort gesagt.
Empfehlung 16.
Der Zusammenbruch der Mittelmächte und die deutsch-polnischen Beziehungen
Erst der militärische Zusammenbruch der Mittelmächte und die Auswirkungen der Novemberrevolution von 1918 in Deutschland schufen die Voraussetzungen für die Proklamierung des souveränen Staates.
Die militärische Niederlage Deutschlands mit ihrer Konsequenz der Annahme von Wilsons 14 Punkten durch das Waffenstilstandsangebot schloß ein, daß das Deutsche Reich gezwungen war, die Schaffung eines unabhängigen polnischen Staates zu akzeptieren. Obwohl der Rat der Volksbeauftragten, die revolutionäre Übergangsregierung, sich dieser Einsicht nicht verschloß, bemühte er sich, die Einheit des Reiches soweit wie irgend möglich zu wahren und in diesem Sinne die territorialen Verluste so gering wie möglich zu halten.Daher war es von großer Bedeutung für die Formierung eines unabhängigen polnischen Staates, daß der Posener Aufstand (27,12.1918) für einen Teil der von Polen beanspruchten Gebiete vollendete Tatsachen schuf, noch ehe die Pariser Friedenskonferenz mit der Behandlung der Grenzfragen begann. Während die überwiegend von Polen beherrschten Arbeiter- und Soldaten-Räte im Posener Land (außer an seinem Westrand und im Bromberger Gebiet) den Aufstand und die Loslösung vom Deutschen Reich unterstützten, bildeten die deutschen Arbeiter- und Soldaten-Räte in den östlichen Grenzgebieten eine im allgemeinen zuverlässige Stütze der Reichsregierung.
Die polnische Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz verlangte im Westen Polens im wesentlichen die Wiederherstellung der Grenze von 1772 (einschließlich der deutsch besiedelten Gebiete) (…) sowie darüber hinaus mit ethnischen Argumenten die Eingliederung von ganz Oberschlesien und des südlichen Teils von Ostpreußen, die vor der Ersten Teilung nicht zum polnischen Staatsverband gehört hatten.
Aufgrund des deutschen Einspruchs, der Unterstützung der britischen und der Bedenken der amerikanischen Regierung beschloß die Pariser Friedenskonferenz, im südlichen Ostpreußen, in einem kleinen Teil Westpreußens und im größten Teil Gberschlesiens durch Volksabstimmung über die künftige staatliche Zugehörigkeit dieser Gebiete entscheiden zu lassen. Gleichzeitig wurde festgesetzt, in Erfüllung des 13. Punktes der Wilsonschen Proklamation, für Polen den ungehinderten Zugang zur Ostsee sicherzustellen. Danzig wurde gegen den einmütigen Protest seiner fast rein deutschen Bevölkerung mit dem Gebiet der Weichselmündung zu Freien Stadt erklärt, in der Polen wichtige Sonderrechte erhielt. Durch diese Grenzregelung ging die Landverbindung zwischen Ostpreußen und dem übrigen deutschen Staatsgebiet verloren; ein 1920 gemäß dem Versailler Vertrag abgeschlossenes Transitabkommen regelte die Verkehrsverbindungen.
Der Versailler Vertrag bildete die völkerrechtliche Grundlage für den Bestand des polnischen Staates. Er stellte Polen in den Grenzen von 1772 im Westen weitgehend wieder her. Die Voraussetzung für die Einbeziehung Polens in diesen Vertrag, insbesondere für die Anerkennung seiner Westgrenze, war die Unterzeichnung des Minderheitenschutzvertrages durch Polen. In der deutschen Öffentlichkeit wurden die ohne Volksabstimmung verfügten Abtretungen in Posen und Westpreußen, die mehr als 1 Million Deutsche unter polnische Herrschaft stellten, (…) als untragbarer Verlust deutschen Volksbodens“ betrachtet und eine Gefährdung der deutschen Ernährungsbasis befürchtet.
Die Auseinandersetzung um die Zukunft Oberschlesiens wurde noch dadurch verschärft, daß neben den nationalen Spannungen auch wirtschaftliche Interessen (.. ) an der oberschlesischen Montanindustrie auf deutscher wie auf polnischer Seite eine gewichtige Rolle spielten. Insgesamt zeigten in den Revolutionsmonaten in Deutschland nur kleine, politisch einflußlose Gruppen und einzelne Persönlichkeiten Verständnis für Haltung und Forderungen der Polen. Dasselbe gilt umgekehrt auch für Polen.
Dem wiedererstandenen polnischen Staat gelang es, aus den ehemaligen Teilungsgebieten in kurzer Zeit ein einheitliches Wirtschafts- und Verwaltungssystem aufzubauen. Das Problem der nationalen Minderheiten (30-35% der Bevölkerung) sowie weitgehende soziale Differenzierungen und Spannungen erschwerten diesen Prozeß wesentlich. Im Laufe von 20 Jahren wurden wirtschaftliche Fortschritte erzielt, eine einheitliche Gesetzgebung und gut funktionierende Verwaltung geschaffen und ein reges kulturelles Leben gefördert. Das Verhältnis Polens zu allen seinen Nachbarn war jedoch durch unbefriedigte gegenseitige territoriale Ansprüche und durch Minderheitenprobleme empfindlich belastet.
Erläuterungen:
Auf der Pariser Friedenskonferenz argumentierte Polen, je nach eigenem Vorteil, bald mit dem ethnischen Prinzip gegen das historische, bald mit dem historischen gegen das ethnische. – Der Minderheitenschutzvertrag wurde von Polen nicht aus eigenem Entschluß gewährt, sondern wurde ihm als Junktim zum Versailler Vertrag auferlegt. – Das Interesse an der oberschlesischen Industrie war auf polnischer Seite nicht geringer als auf deutscher. Von den Alliierten arbeitete Frankreich offen auf eine möglichst große Schwächung Deutschlands in Oberschlesien hin.
Empfehlung 17.
Grenzfragen: Oberschlesien, Danzig, Ost- und Westpreußen
(… ) Seit der Slawisierungsperiode an der Wende zur Neuzeit, in der die Ergebnisse der mittelalterlichen deutschen Siedlung teilweise wieder rückgängig gemacht wurden, war die Bevölkerung Oberschlesiens, auf das Polen 1 335 verzichtet hatte, überwiegend polnischsprachig, besaß aber ein ausgeprägtes schlesisches Regionalbewußtsein, das sie – infolge des vielhundertjährigen ungetrübten Zusammenlebens – mit den deutschen Schlesiern ungleich stärker verband als mit den Polen jenseits der schlesischer Grenze. Dies gilt für alle Lebensbereiche.
Bis ins 19. Jahrhundert war Oberschlesien ein stark gutsherrschaftlich bestimmtes Agrargebiet. Seit 1796 entstand in seinem östlichen Teil, zunächst unter Führung des preußischen Staates, dann des grundbesitzenden deutschen Adels, das zweitgrößte deutsche Industriegebiet in Kombination von Steinkohlenbergbau, Eisen- und Zinkverhüttung. Auf engem Raum erwuchsen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrere Großstädte, eine Reihe von Mittelstädten und volkreiche Arbeiterdörfer. Die leitenden Schichten der Industrie und Verwaltung kamen vorwiegend aus Niederschlesien und dem übrigen Reichsgebiet, die Arbeitermassen entstammten zum größten Teil dem starken natürlichen Bevölkerungsüberschuß Oberschlesiens, zu einem kleineren Teil den angrenzenden polnischen Gebieten, aus denen sie zuwanderten.
Die mit der Industrialisierung entstehenden sozialen Spannungen wurden durch konfessionelle zwischen den alteingesessenen Katholiken und den meist evangelischen deutschen Zuwanderern, die oft in gehobene Positionen einrückten, vermehrt. Dazu kam seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge des allgemeinen nationalen Erwachens der osteuropäischen Völker eine ,,polnische Bewegung“, die von Krakau und Posen her initiiert und gefördert wurde. Der Kulturkampf und die staatliche Förderung des Deutschtums auf der anderen Seite, verschärften die aufkeimenden Gegensätze. 1903 wurde in Oberschlesien, das bis dahin nur Zentrumsabgeordnete entsandt hatte, erstmals ein (1 Abaeordneter der Polenpartei in den deutschen Reichstag gewählt, Wojciech Korfanty, der zu einer Symbolgestalt der polnischen Bewegung in Oberschlesien wurde.
(1907: 5 polnische Abgeordnete, 1912: 4 polnische Abgeordnete, von jeweils 12 oberschlesischen Abgeordneten insgesamt). Die große Mehrheit der Bevölkerung aber bewahrte im Bewußtsein schlesischer Zusammengehörigkeit die preußische Staatsgesinnung und die Verbindung von , wasserpolnischer“ Haus- und deutscher Schriftsprache.
Unter den Parteien war das Zentrum die weitaus stärkste politische Kraft in Oberschlesien. Unterstützt von zahlreichen katholischen Vereinen und Organisationen, trat es nicht nur für die politischen, sondern auch die kirchlichen, kulturellen und sozialen Belange der deutschsprachigen wie der polnischsprachigen Oberschlesier ein. Die Sozialdemokratie spielte daneben nur eine untergeordnete Rolle.
Der Kriegsausgang und die Erneuerung eines polnischen Staates verschärften die sich bis dahin in Grenzen haltenden nationalen Spannungen in Oberschlesien. Ein (…) Teil der polnisch sprachigen Bevölkerung erstrebte nun den Anschluß an die polnische Republik, wogegen die deutschsprachige Bevölkerung ihre Verbundenheit mit dem Reich betonte. Auch viele Anhänger der Arbeiterbewegung setzten sich für einen Verbleib Oberschlesiens bei Deutschland ein.
Im Versailler Vertrag 1919 wurde das Hultschiner Ländchen ohne Befragung der Betroffenen der Tschechoslowakei zugesprochen, für das übrige Oberschlesien – mit Ausnahme einiger rein deutscher Kreise im Westen – eine Volksabstimmung vorgesehen. Dabei waren auch die etwa 200 000 im Abstimmungsgebiet geborenen, aber seither – meist in den Westen des Reichs, kaum nach Osten – abgewanderten Oberschlesier stimmberechtigt. Der Abstimmung ging eine Besetzung des Landes durch französische, englische und italienische Truppen voraus, die aber die Sicherheit nicht gewährleisten konnten. In drei Aufständen 1919, 1920 und 1921, die vom polnischen Staatsgebiet her geführt wurden, versuchten die Polen vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Abwehr lag vor allem in der Hand deutscher Freiwilligenverbände aus allen Teilen Deutschlands.
Am 20. März 1921 erklärten sich rund 60 % der stimmberechtigten Oberschlesier für den Verbleib beim Deutschen Reich, rund 40 % für den Anschluß an Polen. In fast allen Orten, ländlichen wie industriellen, lag der Anteil der deutschen Stimmen höher, meist wesentlich hőher, als jener der deutschen Muttersprache nach der letzten Volkszählung von 1910. Das zeigt, daß sich in Oberschlesien Umgangssprache und nationales Bekenntnis nicht deckten.Es gab hier eine historisch gewachsene, breite Schicht sog. schwebenden Volkstums, das sich nicht ohne weiteres aufgrund äußerer Kriterien einer bestimmten Nationalität zuordnen ließ, sondern sich erst in der persönlichen Entscheidung und im Bekenntnis des einzelnen als deutsch oder polnisch konkretisierte.
Die 1922 vorgenommene Teilung Oberschlesiens entsprach den Bevölkerungszahlen nach nur annähernd dem Abstimmungsergebnis (rund 49% deutsche Stimmen blieben im polnischen Teil, rund 29 % polnische im deutschen Teil) und gab den größten Teil des Industriegebietes mit 85 % der abbauwürdigen Kohlelager an Polen. Die neue Grenze zerschnitt das Industriegebiet und viele einzelne Anlagen. Die dadurch bedingten wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden durch das 1922 zwischen dem Deutschen Reich und Polen für 15 Jahre geschlossene Genfer Abkommen gemildert. Es traf auch Bestimmungen zum Schutze der beiderseitigen nationalen Minderheiten. In Deutsch-Oberschlesien sank in der Folgezeit der Anteil der polnischen Wahlstimmen stetig bis auf knapp 2 % im Jahre 1932; in Polnisch-Oberschlesien hielt sich der Anteil der deutschen Wahlstimmen über 30 %. Der Nationalitätenkampf dauerte hier an. Eine wirkliche und dauerhafte Entspannung trat nicht ein.
Die Errichtung der Freien Stadt Danzig war das Ergebnis internationaler Auseinandersetzungen. Während Frankreich Danzig und die Weichselműndung Polen angliedern wollte, forderte GroBbritannien die Kompromißlösung einer Freien Stadt unter Völkerbundkontrolle. Diese Regelung (.. .) befriedigte weder die Polen noch die Deutschen. Die Polen betrachteten – vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen – den Besitz eines Hafens an der Ostsee und die Kontrolle der Weichselmündung als Faktor von entscheidender Bedeutung. Die Deutschen sahen in der Abtrennung einer zu mehr als 95 % von Deutschen bewohnten Stadt einen Bruch des Selbstbestimmungsrechtes der Völker. Das Problem Danzig und das des sogenannten polnischen Korridors haben nachhaltig zur Vergiftung der Atmosphäre zwischen Deutschland und Polen beigetragen.
Allein zwischen 1919 und 1926 fühlten sich 600 000 Deutsche genötigt, die polnisch gewordenen Teile Posens und Westpreußens zu verlassen.
Bei der Abstimmung in Ost- und Westpreußen fiel entscheidend ins Gewicht. daß sich die große Mehrheit der Bevölkerung aufgrund der staatlichen Tradition und teilweise auch der Konfession (Masuren) trotz ethnischer und sprachlicher Unterschiede dem preußischen Staat zugehörig fühlte.
Wahrend die alliierten Kontrollmächte in Oberschlesien eine die Polen begünstigende Haltung einnahmen,_verhielten sie sich in den Abstimmungsgebieten Ost- und Westpreußens eher deutschfreundlich.
Auch der Zeitpunkt der Abstimmung im Juli 1920 während der sowietischen Gegenoffensive, die den polnischen Staat gefährdete und schwächte, beeinflußte das Erqebnis möglicherweise ebenso, wie die Tatsache, daß Deutschland den Krieg verloren hatte (in Ostpreußen 98 %, in Westpreußen 92,5 % (. .) der Stimmen für den Verbleib bei Preußen).
Erläuterungen:
Der Oberschlesien betreffende Teil der Unesco-Empfehlung wird den diffizilen oberschlesischen Verhältnissen in entscheidenden Punkten nicht gerecht und ist daher im wesentlichen neu gefaßt worden. AuBerdem erschienen Konkretisierungen nötig.
Empfehlung 22.
Bevölkerungsverschiebungen: Bevölkerungsaustausch, Evakuierung, Flucht, Vertreibung, Aussiedlung
(…) Die Festlegung der neuen polnischen Ostgrenze und die Ziehung der Oder-Neiße-Linie als polnische Verwaltungsgrenze im Westen bei Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgten in der Weise, daß Millionen von Menschen gezwungen wurden, die Heimat zu verlassen.
Während im Osten Polens aufgrund eines sowjetisch-polnischen Vertrages ein Bevölkerungsaustausch durchgeführt wurde, von dem etwa 1,5 Millionen Polen auf der einen und etwa 0,5 Millionen Weißrussen und Ukrainer auf der anderen Seite betroffen waren, wurden im Westen aus dem deutschen Gebiet etwa 8,5 Millionen Deutsche vertrieben. Hinzu kommen über 1 Million Deutsche aus dem polnischen Staatsgebiet vor 1939. In nationalistischer Konzeption wurde so versucht, die staatlichen bzw. verwaltungsmäßigen Grenzen mit den ethnischen in Übereinstimmung zu bringen. Die historischen Erfahrungen der Nationalitätenkonflikte und die unmittelbar vorhergegangene gewaltsame nationalsozialistische Bevölkerungs- und Besatzungspolitik spielten in diesem Zusammenhang eine erhebliche Rolle.
(…) Ein Teil der aus ihren Wohnsitzen entfernten deutschen Bevölkerung war durch die deutschen Behörden bei Kriegsende evakuiert worden, ein anderer Teil war vor den Kampfhandlungen geflüchtet, ein weiterer Teil wurde durch die polnischen Behörden gewaltsam des Landes verwiesen. In allen Phasen der Flucht und Vertreibung entstanden schwere Bevölkerungsverluste. Sowohl die Evakuierten wie die Geflüchteten beabsichtigten, nach Ende der Kampfhandlungen in ihre Wohngebiete zurückzukehren, wurden jedoch von den polnischen Behörden daran gehindert und so zu Vertriebenen.
In den Jahren 1950-70 kamen im Zuge der Aussiedlung, insbesondere der – infolge der Vertreibung notwendig gewordenen – Familienzusammenführung, 460 000 in Ostdeutschland oder Polen zurückgebliebene oder zurückgehaltene Deutsche in die Bundesrepublik Deutschland.
(…) In den Gebieten, aus denen die deutsche Bevölkerung vertrieben worden war, wurden – nach anfänglich ungeregelter Inbesitznahme – von den polnischen Behörden systematisch Polen angesiedelt, die teilweise aus Ostpolen, zum größten Teil aber aus dem zentralpolnischen Bereich stammten.
In den vier Besatzungszonen Deutschlands (..) mußte in einem langwierigen und schwierigen Prozeß versucht werden, die Vertriebenen in die Gesellschaft einzugliedern. Dieser Prozeß dauert an. Die Vertriebenen spielten eine große Rolle bei dem wirtschaftlichen Aufschwung in Westdeutschland. (. .) Ein großer Teil von ihnen (. .) organisierte sich in landsmannschaftlichen Verbänden, die sich im Bund der Vertriebenen zusammenschlossen. In der Charta der Heimatvertriebenen haben sie 1950 als allgemeines Menschrecht das Recht auf die Heimat gefordert, aber dabei ausdrücklich auf Rache und Vergeltung verzichtet. Gleichwohl werden sie in Polen als Hort des Revisionismus angesehen. Der Versuch von Teilen der Vertriebenen, durch eine eigene Partei (BHE) eine besondere politische Kraft zu bilden, scheiterte auf Bundesebene bereits im Jahre 1957. Die Bundes- und Länderregierungen förderten (. .) auf verschiedenen Wegen ihre materielle und soziale Eingliederung (Vertriebenen- und Lastenausgleichsgesetzgebung). Dadurch wurde (. .) dazu beigetragen, daß diese Bevölkerungsgruppe sich nicht zu einem Element permanenter sozialer Unzufriedenheit entwickelte und daß damit nicht auch auBenpolitisch gefährlicher Sprengstoff entstand. Sie ist (. .) inzwischen weithin auch politisch in den großen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen der Bundesrepublik integriert.
Empfehlung 24.
Bewältigung der Vergangenheit
Überaus nachhaltig ist das deutsch-polnische Verhältnis durch die Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, durch die Vertreibung der Deutschen und die polnischen Gebietsannexionen belastet worden. Polen hat, mehr noch als andere besetzte Länder, durch die Gewaltpolitik des Hitler-Regimes schwere Verluste erlitten (vgl. Empfehlung 20.). Auch das deutsche Volk hat den Terror der nationalsozialistischen Herrschaft und die Schrecken des Krieges erlebt.
Erst nach Kriegsende iedoch wurde dem deutschen Volk das volle Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen in Europa deutlich. Nachdem die Hauptverantwortlichen durch die alliierten Militärgerichte abgeurteilt worden waren, wie es in den Potsdamer Beschlüssen vorgesehen war, übertrugen die Alliierten den deutschen Behörden die Entnazifizierung der Mitglieder der NSDAP und ihrer Organisationen. Diese Maßnahmen wurden Anfang der 50er Jahre abgeschlossen. (..) Mit dem Zusammenbruch setzte () in zunehmendem Maße die geistige und moralische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus (..) ein. Die Art und Weise, wie die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit (..) bisweilen geführt wurde, insbesondere Inkonsequenzen bei der Durchführung der Entnazifizierung und der gerichtlichen Verfolgung nationalsozialistischer Verbrecher, haben in polnischer Sicht die Beziehung der Bundesrepublik Deutschland zu Polen und zu anderen Ländern in vieler Hinsicht belastet.
In deutscher Sicht ist das deutsch-polnische Verhältnis belastet durch eine unzureichende polnische Auseinandersetzung mit der Vertreibung und die gänzlich fehlende Verfolgung der Vertreibungsverbrechen. Hinzu kommt, daß den in den Oder-Neiße-Gebieten verbliebenen Deutschen die sonst – auch im sowjetischen Machtbereich – üblichen Gruppenrechte verweigert werden.