Entwicklung der oberschlesischen Industrie bis 1945
Die industrielle Entwicklung Oberschlesiens bis 1945 (in den östlichen Teilen der Region bis 1922) wurde von der wirtschaftlichen und politischen Situation in Preußen und ab 1871 in Deutschland bestimmt. Die Geschichte des oberschlesischen Bergbaus lässt sich bis in die Zeit des Markgrafen Georg d. Frommen von Hohenzollern zurück. Im Jahr 1519 wurden bei Tarnowitz Bleierzvorkommen entdeckt und 1528 erließ Georg d. Fromme erließ das erste Bergbaugesetz. Weitere Erzvorkommen wurden bei Beuthen, zwischen Kreuzburg-Groß Strehlitz-Peiskretscham, bei Gleiwitz, Ruda/Friedenshütte und später bei Katowitz entdeckt. Nach den Schlesischen Kriegen (zwischen Österreich und Preußen) und der Übernahme Schlesiens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch Preußen wurde in diesem Gebiet ein Prozess der modernen Industrialisierung eingeleitet, der vom preußischen König Friedrich dem Großen unterstützt wurde. Das Bürgertum und der Adel waren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nur schleppend daran beteiligt.
1785 wurde in der Grube Friedrich bei Tarnowitz die erste Dampfmaschine auf dem europäischen Kontinent (außerhalb der britischen Inseln) in Betrieb genommen, eine Sensation für die damalige Zeit. Die Nutzung der Dampfkraft im Kohlebergbau wurde insbesondere von Friedrich dem Großen vorangetrieben, der zum Schutz der Wälder die Holzverbrennung durch Steinkohle ersetzen wollte, was damals auf großen Widerstand in der Bevölkerung stieß. Zu Beginn der Verdrängung des Holzes wurde den Fabrikbesitzern sogar eine Prämie für die Verwendung von Kohle gezahlt. 1779 begann man, Kohle beim Brotbacken zu verbrennen; 1795 verbot der damalige preußische Berg- und Hüttenminister die Verwendung von Holzkohle bei der Zinkherstellung. In der Folge eröffnete die Nutzung der Kohleenergie in Verbindung mit dem Einsatz von Dampf neue technische Möglichkeiten und führte zu einem massiven Anstieg der industriellen Produktion, zur Gründung neuer Fabriken und zu einem massiven Zuzug von Landbewohnern in die rasch wachsenden Städte.
In Verbindung mit der Verbreitung der Dampfmaschine begann ab Mitte des 19. Jahrhunderts die stürmische Entwicklung der Eisenbahn. Ab 1846 gab es eine Eisenbahnverbindung von Berlin über Frankfurt/Oder, Breslau, Oppeln nach Myslowitz. In Oberschlesien, das am südöstlichen Rand Preußens lag, entstand ab dem frühen 19. Jahrhundert das erste kompakte Industriegebiet Kontinentaleuropas (mit Ausnahme der britischen Inseln). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts und vor allem ab Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs das Interesse von Privatpersonen und des Adels an der Industrie. Zu den wichtigen Adelsfamilien, die an der Industrialisierung beteiligt waren, gehörten Graf Henckel von Donnersmarck, Graf von Ballestrem, Fürst von Pleß (Herzog von Pszczyna) und viele andere. Die Führungsschicht der schlesischen Industrie rekrutierte sich aus allen sozialen Schichten Schlesiens und des übrigen Deutschlands.
Bis in die 1840er Jahre verlief die Industrialisierung der Region relativ langsam, was sich durch die hohen finanziellen Aufwendungen infolge der napoleonischen Kriege erklären lässt. Ab etwa 1850 ist eine Beschleunigung der Entwicklung zu beobachten, die auf den Unternehmergeist des oberschlesischen Bürgertums zurückzuführen ist, dessen Tätigkeit die der Magnaten ablöste oder verstärkte. Den Anstoß zum bürgerlichen Unternehmertum gab der Westfale Wilhelm Hegenscheidt, der 1852 die Technologie zur mechanischen Drahtherstellung aus Westfalen nach Petersdorf bei Gleiwitz brachte. Adolf Deichsel war der erste gebürtige Gleiwitzer, der 1853 eine Drahtseilfabrik in Zabrze gründete. Franz Winkler und Friedrich Grundmann gehörten zu dieser neuen Gruppe von Unternehmern, die sich nicht vom Risiko abschrecken ließen. Ihr sozialer Aufstieg ist charakteristisch für die damalige Zeit und zeigt, dass unerschöpflicher Fleiß und kluges Unternehmertum die Grundlage für ihre Erfolge und ihr großes Vermögen waren. Oberschlesien wurde damals als das „Land der Goldgräber“ bezeichnet.
Von der Einigung der deutschen Staaten durch Bismark 1871 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vollzog sich ein beeindruckender Aufstieg Deutschlands an die Spitze der Industriemächte. Zusammen mit dem rasanten Wachstum der städtischen Bevölkerung entstanden Industriereviere wie an Rhein und Ruhr, im Rhein-Main-Gebiet, in Thüringen und Sachsen und vor allem im oberschlesischen Bergbaurevier, das zum wichtigsten Industrierevier Mittel- und Osteuropas, zum zweitwichtigsten Industrierevier Deutschlands und zum zentralen Industriezentrum Nord-, Nordost- und Osteuropas wurde. Die Stärke der dynamischen Entwicklung Deutschlands in der Zeit von 1871 bis 1914, die auch als Wilhelminisches Zeitalter bezeichnet wird, lässt sich besser verstehen, wenn man einige der industriellen Indikatoren anführt, die in Deutschland in dieser Zeit erreicht wurden. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war Deutschland dabei, die Position des am stärksten industrialisierten Landes der Welt zu erreichen, was damals bedeutete, Großbritannien einzuholen und zu überholen, und wenn beispielsweise die deutsche Stahlproduktion im Jahr 1880 nur weniger als ein Drittel derjenigen Großbritanniens betrug, so produzierte Deutschland zwanzig Jahre später bereits 2,5 Mal mehr Stahl als Großbritannien. Um die Wende zum 20. Jahrhundert hatte Deutschland auch Großbritannien von seiner führenden Position im Welthandel verdrängt. Das Wachstum Deutschlands garantierte einen aufnahmefähigen Binnenmarkt, der das Wachstum der schlesischen Wirtschaftskraft unterstützte.
In Oberschlesien entwickelte sich vor allem der Bergbau und die metallverarbeitende Industrie, die sich vor allem im Bereich der günstigen Kohleflöze der Strecke Zabrze-Mysłowice-Katowice konzentrierte. Die Entwicklung Oberschlesiens wurde nicht durch seine relativ geringen Eisenerzvorkommen behindert. Stattdessen verfügte der Bezirk über die größten Zink- und Bleierzvorkommen in Europa. Die Metallindustrie entwickelte sich insbesondere in Kattowitz, Königshütte, Schwientochlowitz, Bobrek, Siemianowitz und Laurahütte, Malapane, Rybnik und Laband. Die chemische Industrie, die vor allem Stickstoffdünger, Säuren und destillierten Steinkohlenteer herstellte (hauptsächlich in Odertal, Kandrzin-Cosel und Blechhammer), stützte sich auf Steinkohle. Wichtige Faktoren für die Entwicklung der Region waren der Ausbau der Eisenbahnen, das Bankwesen und die Entstehung von Aktiengesellschaften.
Die industrielle Entwicklung der Region Oberschlesien wurde auch durch den Stand der Industrialisierung in den russischen Gebieten beeinflusst, was unmittelbar mit der Randlage Oberschlesiens im Verhältnis zum übrigen deutschen Raum zusammenhängt. Im Großen und Ganzen war diese geografische Lage für die industrielle Entwicklung Oberschlesiens eher ungünstig. Es war wichtiger als in anderen deutschen Industrieregionen, die richtige Politik zu verfolgen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Region zu sichern. Das Ruhrgebiet (Rhein-Ruhr-Revier) zum Beispiel lag an den wichtigen Verkehrsadern Rhein und Ruhr und war auch näher an den wichtigen Märkten Westeuropas. Dies führte dazu, dass in wirtschaftlichen Krisenzeiten der Abschwung in Oberschlesien stärker ausfiel und der wirtschaftliche Aufschwung hier mit Verzögerung und geringeren Wachstumsraten einsetzte. Die ungünstige geografische Lage musste durch ein niedrigeres Lohnniveau kompensiert werden. Aus diesen Gründen gab es in Oberschlesien in der Zeit der wirtschaftlichen Rezession starke Tendenzen zur Bildung von Syndikaten und zur Verfolgung einer Zollschutzpolitik.
Die Folgen des Ersten Weltkriegs – insbesondere die Beschlüsse von Versailles – führten zum Zerfall dieses organisch verflochtenen und einheitlichen Industriegebiets, das nur als Ganzes in der Lage war, mit anderen Industriezentren zu konkurrieren. Die Aufteilung dieser Region nach dem Plebiszit erfolgte ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedingungen, und die Beschlüsse der Versailler Konferenz führten zu einem schweren wirtschaftlichen Zusammenbruch. Dies galt sowohl für den polnischen als auch für den deutschen Teil. So bildete der Kreis Hindenburg vor der Teilung ein Bindeglied zwischen den Kreisen Rybnik und Gleiwitz und den Kreisen Beuthen und Katowitz. Die verschiedenen Industrieprodukte, die vor der Teilung in der Region hergestellt wurden, haben nach der Teilung ihre traditionellen Absatzmärkte verloren, was die Absurdität der Grenze beweist, ganz zu schweigen von den politischen Verwicklungen für die Zukunft, die sich aus der Vielzahl von Beispielen ergeben, die hier angeführt werden können.
Durch die Teilung verlor Polen den wirtschaftlich wertvolleren Teil Oberschlesiens mit 4/5 der Industrieanlagen und den größten Teil der Kohleflöze, darunter 53 Kohlegruben (14 verblieben bei Deutschland). Die neue Grenze trennte z. B. die metallurgischen Öfen von den nachgelagerten stahlverarbeitenden Bereichen. Die bei Deutschland verbliebenen Industrieunternehmen waren finanziell so ruiniert, dass sie vor dem Ruin standen. Es fehlte ihnen an Rohstoffverarbeitungsanlagen und Weiterverarbeitungsbetrieben. Angesichts dieser Situation wurde im Genfer Abkommen vereinbart, dass auf Industriegüter, die die neue schlesische Grenze passieren, 3 Jahre lang keine Zölle erhoben werden sollten. Für die polnische Seite ergaben sich auch andere Probleme von großer Bedeutung. So setzten die polnischen Behörden aufgrund des Mangels an geeignetem Führungspersonal auf verschiedenen Ebenen in Polen weiterhin deutsches Führungspersonal ein, was in seinen Folgen nicht unproblematisch war. Polen, als ein Land mit überwiegend agrarischer Struktur, war auch nicht in der Lage, die Produkte der oberschlesischen Industrie zu absorbieren, und aufgrund seiner angespannten politischen Beziehungen zu seinen Nachbarn konnte es seine Exporte nicht ausreichend unterstützen. Auf diese Weise wurde Oberschlesien für Polen eher zur Last als zum Gewinn. Insgesamt lässt sich bei der Analyse der wirtschaftlichen Indikatoren der Zwischenkriegszeit feststellen, dass die katastrophale Ausgangslage den westlichen Teil Oberschlesiens nicht daran hinderte, sich wieder zu einem leistungsfähigen Industriegebiet zu entwickeln. Bis 1938 konnte das östliche Oberschlesien seine 1922/23 erreichte Ausgangsposition trotz großer Anstrengungen nicht verbessern, wovon u.a. der Bau der Eisenbahnlinie Kattowitz-Gdingen zeugt.
Nach 1933 kam es zu einer zunehmenden Unterbrechung der Kontakte zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil Oberschlesiens. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führte zur Wiedervereinigung des deutschen Teils der Region mit dem polnischen Teil, der vom Krieg nicht betroffen war. Ab 1942/43 verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage. Dies war nicht direkt auf den Luftkrieg über dem Reich zurückzuführen, sondern vor allem auf die allmähliche Lähmung des Verkehrsnetzes und die damit verbundenen Versorgungsengpässe. Nach einer beachtlichen industriellen Entwicklung während des Krieges musste Oberschlesien nach 1945 einen schweren Tribut zahlen, der nicht nur durch die verfehlte, sondern auch durch die verbrecherische Politik Deutschlands verursacht wurde. Der Grund für den Verlust dieser Region an Deutschland, die Vertreibung eines großen Teils der Bevölkerung, der Verlust von Eigentum, Sprache und Kultur, liegt vor allem in der Zunahme nationaler Intoleranz durch den Missbrauch nationalistischen Gedankenguts. Der Nationalismus hat sich erst seit der Französischen Revolution herausgebildet. In Deutschland und anderen europäischen Ländern entwickelte er sich im 19. Jahrhundert und nahm häufig die Form von Imperialismus und Materialismus an. In der Zwischenkriegszeit entstand ein starker Nationalismus in Form einer totalitären Bewegung, die zur totalen Unterordnung aller Lebensbereiche unter eine diktatorische Staatsmacht auf der Grundlage eines Einparteiensystems führte. Die jüngste Geschichte Oberschlesiens ist ein Beispiel, das zum Nachdenken darüber zwingt, wohin falsch verstandener Nationalismus führen kann.
Basierend auf dem Buch von Konrad Fuchs Wirtschaftsgeschichte Oberschlesiens 1871-1945, Dortmund 1991
Bruno Nieszporek aus Slonsk_de (08/2000)
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