Geschichte des Eisenbahnknotens in Neisse

Maciej Krzysik | Nyskie Szkice Muzealne | Band 10 | 2017
Originaltitel: HISTORIA NYSKIEGO WĘZŁA KOLEJOWEGO
(Ein Ausschnitt)

Der Bahnknoten in Neisse ist derzeit eine dreigleisige Station mit einem Bahnhofsgebäude, drei Bahnsteigen und einer Unterführung. Die Blütezeit der Neisser Eisenbahn ist Ende der 1990er Jahre unwiederbringlich vorbei, doch zuvor war Neisse ein wichtiger Bahnknoten an der Sudetischen Eisenbahn-Magistrale. Die Geschichte der Neisser Eisenbahn reicht bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, als die Bemühungen um den Bau einer Bahnlinie begannen, die Brieg [heute: Brzeg] über Neisse und Leobschütz [heute: Głubczyce] mit Troppau [heute: Opava] verbinden sollte. In einem Memorandum vom 5. Februar 1840 wies der königliche Straßenbauinspektor C. Mens darauf hin, dass die Oberschlesische Eisenbahngesellschaft in Zukunft eine Strecke durch Neisse bauen werde, um eine Verbindung zur österreichischen Kaiser-Ferdinands-Nordbahn herzustellen. In diesem Dokument schätzte er, dass der Personenverkehr zwischen Breslau und Neisse etwa 50.000 Personen pro Jahr betragen würde und der Güterverkehr etwa 9.000 Tonnen1. Im Jahr 1843 entstand aus der Fusion zweier Vereinigungen, die den Bau der Strecke Brieg-Neisse-Neustadt [heute: Prudnik] anstrebten, dem Direktorium der Neisse-Brieger Eisenbahngesellschaft, das zunächst plante, eine Strecke zu bauen, die Neisse indirekt mit Brieg verbinden sollte.

Abb. 1 – Ansicht Bahnhofsgebäude 1899, Quelle: eigene Sammlung (M. Krzysik)

Aufgrund von Verhandlungen wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 1843 das Konzept gewählt, die Strecke über Grottkau [heute: Grodków] nach Neisse zu führen, und Anfang Januar 1844 begannen die Planungsarbeiten. Das Projekt sah zwei Varianten für die Streckenführung in Neisse vor: entweder zum Jerusalemer Tor oder zum Grottkauer Tor2. Gleichzeitig fanden Verhandlungen mit den Stadtbehörden über den Standort des Bahnhofs statt – die Idee, ihn in der Nähe der Kapuziner-Redoute zu bauen, stieß bei den Behörden auf Ablehnung, da sie einen Bahnhof möglichst nahe am Stadtzentrum wollten. Trotz fehlendem Konsens wurde am 4. April 1845 die Konzession für den Bau der Strecke erteilt, und im August desselben Jahres begannen die Bauarbeiten von Brieg aus. Am 25. Juli 1847 wurde die Verbindung von Bösdorf [heute: Pakosławice] nach Brieg eröffnet, während Widerstand von Neisser Militärbehörden die Arbeiten im Vorfeld von Neisse stoppte. Erst am 26. Juni 1848 wurde die Strecke bis nach Neisse geführt, [Seite 186] und der erste Bahnhof wurde nördlich der Stadt (eine Verlängerung der heutigen ul. Oświęcimska)(3) errichtet. Es handelte sich um ein provisorisch errichtetes Gebäude, das nur bis zur Errichtung eines Bahnhofs innerhalb der Festung dienen sollte und von den damaligen Stadtbewohnern als „Wärterbude“ bezeichnet wurde. Trotz seines provisorischen Charakters war der Bahnhof außerhalb der Stadt 27 Jahre lang in Betrieb – bis zur Errichtung eines weiteren provisorischen Bahnhofs in der Nähe der heutigen al. Wojska Polskiego4 [ehemals: Rochusallee].

Die Arbeiten am Anschluss von Neisse an Neustadt und weiter nach Jägerndorf [heute: Krnov] begannen erst nach dem Ende des Deutsch-Österreichischen Krieges im Jahr 1867. Der Plan sah vor, Neisse bis 1873 mit Kadrzin [heute: Kędzierzyn] und Frankenstein (O.S.) [heute: Ząbkowice Śląskie] zu verbinden, doch der Deutsch-Französische Krieg von 1870–1871 verhinderte die Umsetzung dieser Pläne. Auf dem Weg zur Fertigstellung der Strecke von Frankenstein nach Neisse standen erneut die Militärbehörden im Weg – langwierige Verhandlungen über die Platzierung des Bahnhofs innerhalb der Festung sowie den Bau einer Brücke über die Glatzer Neiße führten dazu, dass die Inbetriebnahme der Strecke mit fast zweijähriger Verspätung erfolgte5. Am 28. Dezember 1874 wurde der Abschnitt Kamenz [heute: Kamieniec Ząbkowicki]– Goswinowitz [heute: Goświnowice] eröffnet, und im selben Jahr entstand ein provisorischer Bahnhof an der damaligen Rochusallee6, etwa eine halbe Stunde Fußweg vom Stadtzentrum entfernt. Dies ermöglichte die Inbetriebnahme der Verbindung Neisse–Breslau–Berlin. Im Jahr 1875 wurde ein provisorischer Bahnhof südlich der Festung errichtet, und am 1. November 1875 wurde die Strecke Neisse–Heiligenwalde [heute: Polski Świętów]–Bad Ziegenhals [heute: Głuchołazy]/Neustadt [heute: Prudnik]7 in Betrieb genommen.

Die endgültigen Vereinbarungen über den Umfang der Arbeiten für den Bau der Brücke und des Bahnhofs wurden im Januar getroffen, und die Bauarbeiten begannen im März 1876. Die am 12. Juni 1876 eröffnete Strecke Neisse–Goswinowitz und weiter nach Kamenz nutzte den provisorischen Bahnhof der Brieg-Neisser Eisenbahn an der Rochusallee. Durch die Verbindung der Strecken Kamenz–Neisse und Neisse–Neustadt mittels einer Brücke über die Glatzer Neiße wurde Neisse zu einem Bahnknoten. Die knapp hundert Meter lange Eisenbahnbrücke, die auf drei steinernen Pfeilern ruht, wurde am 1. Dezember 1876 in Betrieb genommen. Ursprünglich verliefen zwei Gleise über die Brücke – eines für die Strecke Kamen–Neisse–Neustadt und eines für die Strecke Neisse–Brieg. Die Brücke konnte auch als Schleuse dienen, da in den Pfeilern drei Wehre zur Wasserstauung eingebaut waren. Interessant ist, dass das Brückenjoch der Strecke Kattowitz–Liegnitz (zweigleisig) heute trapezförmige Gitterträger aufweist, aber mindestens bis in die 1930er Jahre – wie das Joch der Strecke nach Brieg – halbrunde Schwedler-Gitterträger besaß. Um die südlichen Festungsanlagen zu überwinden, wurde 1876 eine Brücke errichtet (an der Stelle des heutigen Viadukts an der ul. Jagiellońska)(8). [Seite 187]

Der Bau des Hauptbahnhofsgebäudes, der 1876 begann, wurde am 1. Oktober 1878 mit einer feierlichen Eröffnung abgeschlossen. Damit wurden die bis dahin getrennten Bahnlinien, die Neisse mit dem Norden und Süden verbanden, zusammengeführt und die provisorischen Bahnhöfe aufgelöst. Das Gebäude zeichnete sich durch eine typische Bahnhofsarchitektur aus – ein Hauptkorpus aus rohem Backstein, ergänzt durch zwei Flügel (einer davon höher, in dem ein Restaurant untergebracht war). Das Gebäude entstand an der Stelle abgerissener Festungsanlagen, doch zum Schutz des Bahnhofsbereichs wurden zwischen 1876 und 1879 die bis heute erhaltenen sogenannten Neuen Eisenbahn-Befestigungsanlagen in der Nähe der heutigen Straßen ul. Bolesława Śmiałego und ul. Władysława Jagiełły (9) errichtet. Zusammen mit dem Bahnhofsgebäude wurde eine technische Infrastruktur geschaffen, bestehend aus einem dreiständigen Lokschuppen, einem Wasserturm und Einrichtungen zur Verkehrssteuerung, darunter zwei Stellwerke (am nördlichen und südlichen Ende des Bahnhofs). Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde der westliche Teil des fächerförmigen Lokschuppens (mit vier Ständen) gebaut. In dieser Zeit bediente der Bahnknoten Neisse Verbindungen nach Brieg, Bad Ziegenhals, Kandrzin und Kamenz. Erst im Jahr 1902 wurde der erste Schnellzug auf der Strecke Liegnitz–Königszelt [heute: Jaworzyna Śląska]–Kamenz–Neisse in Betrieb genommen. Im Jahr 1907 wurde der „Sudeten Schnellzug“ auf der Strecke Berlin–Kattowitz über Neisse in den Fahrplan aufgenommen, ebenso wie ein Zug auf der Strecke Neisse–Breslau–Neisse(10).

Nach einer längeren Pause bei der Erweiterung des Bahnhofs wurde 1887 die Verbindung von Neisse nach Oppeln über Lamsdorf [heute: Łambinowice] und Schidlau [heute: Szydłów] eröffnet. Der Bau dieser Strecke war hauptsächlich durch den Wunsch nach Gütertransport motiviert, während der Personenverkehr von Anfang an auf einem niedrigen Niveau geplant war (11). …

Quelltext aus: t.me/NysaStadt/1444
Geschichte des Eisenbahnknotens in Neisse (ein Ausschnitt)

2 Antworten

  1. bhn sagt:

    In dem Beitrag wurden auch einige nach dem Krieg neu eingeführten Straßennamen aus Neisse genannt, darunter:
    Oświęcimska, Jagiellońska, Bolesława Śmiałego und Władysława Jagiełły.
    Gewöhnlich entstehen die Namen von Ortschaften und Straßen im Laufe der gesamten Stadtentwicklung. In Schlesien wurde diese Kontinuität nach 1945 abrupt beendet und viele Orts- und Straßennamen wurden willkürlich erdacht und politisch beschlossen.
    Was diese oben genannten Namen mit Neisse gemeinsam haben, übersteigt meine Vorstellungskraft.
    Es wäre auch interessant zu erfahren, nach welchen Prinzipien sich die polnischen Regionalbehörden bei dieser Namensgebung gerichtet haben.
    Mir scheint, es ging dabei darum, die polnische Herkunft und Vorgeschichte dieser Region vorzutäuschen. Wie ist es sonst zu erklären, dass die polnischen Behörden viele Namen wählten, deren Bezug zu Schlesien oder der Ortschaft nicht ersichtlich ist?

  2. bhn sagt:

    Wenn wir ein prächtiges Gebäude sehen, fragen wir uns oft: Wer hat den Bau dieses Bauwerks veranlasst? Wer hat es bezahlt? Wer hat es errichtet? Warum überhaupt diese Pracht? Wer wollte damit Bewunderung auslösen? Und wurde das Haus nach seiner Fertigstellung tatsächlich so bewundert, wie es uns heute erscheint?
    Leider wurde im Krieg viel zerstört und nach dem Krieg wurde in Schlesien vieles dem Verfall überlassen – oft genug gezielt und gewollt. Heute kann ein Liebhaber der Baukunst nur mit Bedauern auf den durch Krieg oder absichtlichen Verfall verursachten Verlust von Kulturgut reagieren.
    Wir brauchen mehr gute Berichte über markante Bauwerke aus der Region, denn nur so lässt sich der Geist vergangener Zeiten wieder „zum Leben erwecken“.

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