Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe

1. Kurzbeschreibung

Am 18. November 1965 wandten sich die polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder mit einem Brief, der den berühmt gewordenen Satz „[Wir] gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ enthielt. Die deutschen Bischöfe antworteten am 5. Dezember desselben Jahres. Obwohl der Briefwechsel zeitgenössisch durchaus kontrovers aufgenommen wurde, gilt er heute als Meilenstein der deutsch-polnischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Aus: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/begriffe/briefwechsel-der-polnischen-und-deutschen-bischoefe


Nachfolgend einige Ausschntte aus dem Hirtenbrief des polnischen Episkpats an die Gläubigen in Polen vom 10.2.1966:


Das Problem der Grenzen und das Wohl des Vaterlandes.
Wir, wir polnischen Bischöfe, dürfen nicht einmal die Annahme zulassen, dass uns in Polen irgendein ernst denkender Mensch Landesverrat und Verrat der Lebensinteressen des Vaterlandes nachsagen könnte. Obwohl ähnliche uns entehrende Vorwürfe gemacht wurden und zwar in der Presse, vor der Jugend in manchen Schulen, vor Arbeitnehmern, auf vielen Versammlungen, fühlen wir überhaupt keine Verpflichtung, solche Vorwürfe zurückzuweisen. – Die tausendjährige Geschichte des katholischen Polens beweist, dass der Klerus mit den Bischöfen an der Spitze immer von dem Geiste einer gesunden Vaterlandsliebe durchdrungen war und diese immer wieder kraftvoll förderte. …
Wir wissen sehr wohl, dass für die ganze Nation das Territorium des Vaterlandes eine Voraussetzung für die Existenz des Staates als solchen ist. Wir haben das Problem unserer Grenze an Oder und Neiße nie zur Diskussion gestellt, da wir unseren gegenwärtigen Besitzstand als eine Frage von „Sein oder Nichtsein“ unseres Staates ansehen.
Diese Haltung haben wir des Öfteren zum Ausdruck gebracht und insbesondere in der letzten Zeit bei der Durchführung der Feierlichkeiten des 20. Jahresgedenkens der kirchlichen Organisationen in den Westgebieten.
… Wir äußern zugleich die Befriedigung darüber, dass zu einem gewissen Zeitpunkt die gesunde Vernunft über die Voreingenommenheit Oberhand gewonnen hatte und dass die maßgeblichen Kreise davon Abstand nahmen, uns eines antinationalen und eines im Gegensatz zu den Staatsinteressen stehenden Vorgehens zu beschuldigen. Diese gesunde Einstellung entspricht einzig und allein der polnischen Staatsraison. Alle anderen Behauptungen, die uns Bischöfe als Gegner des heutigen Besitzstandes Polens darstellen, können nur dazu beitragen, der eigenen Sache Schaden zuzufügen.“

Wir sagten: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“.
Wir alle waren Zeugen eines Völkermordes, der vor Jahren unser Land heimsuchte. Die Mehrheit der damaligen Bischöfe und polnischen Priester musste Konzentrationslager, Gefängnisse und verschiedene Bedrängnisse erleiden.“

Wir sagten: „Wir bitten um Vergebung“.
Hat die polnische Nation einen Grund, unseren Nachbarn um Vergebung zu bitten? Sicherlich nicht. Wir sind überzeugt, dass wir als Nation im Laufe der Jahrhunderte dem deutschen Volke kein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Unrecht getan haben. Aber wir teilen auch den christlichen Grundsatz, der jüngst in einigen literarischen Werken hervorgehoben wurde, dass „es keine unschuldigen Menschen gibt“ (Albert Camus). Wir sind überzeugt, dass, wenn auch nur ein einziger Pole sich als unwürdiger Mensch erwiesen hat, wir schon einen Grund zu dem Wort hätten: „Wir bitten um Vergebung“, wenn wir eine Nation von edelgesinnten und großmütigen Menschen sein wollen, eine Nation einer besseren Zukunft.“


5. Reaktionen auf den Briefwechsel

Der polnische Literaturhistoriker und PEN-Mitglied, Jan Józef Lipski, der auch Mitgründer des polnischen Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) ist, schrieb 1981 (Kultura, Paris, Nr. 10):

„Der Appell des polnischen Episkopats an den deutschen stellt vor allem ein Problem dar, das sich nicht umgehen lässt, wenn man dem Christentum treu bleiben will: das Problem auch unserer Schuld gegenüber den Deutschen. […]

Wir haben uns daran beteiligt, Millionen Menschen ihrer Heimat zu berauben, von denen die einen sicherlich sich schuldig gemacht haben… Das uns angetane Böse, auch das größte, ist aber keine Berechtigung und darf auch keine sein für das Böse, das wir selbst zugefügt haben…

[…]

Im polnischen Bewusstsein unserer geschichtlichen Beziehungen zu den Deutschen ist eine Masse Mythen und falscher Bilder entstanden, die im Namen der Wahrheit und zum Zwecke einer Gesundung einmal von Lügen gereinigt werden müssen: Die falschen Vorstellungen der eigenen Geschichte sind eine Krankheit der Seele der Nation, sie dienen hauptsächlich der Fremdenfeindlichkeit und dem nationalen Größenwahn.

Fast jeder Pole glaubt heute, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Raum zurückgekehrt seien, der uns von den Deutschen geraubt worden sei… Dagegen wollen wir heute in der Regel nicht daran denken, dass dies Gebiete sind, in denen einige hundert Jahre deutscher Kultur geblüht hat. Wir lesen rührende Feuilletons über die Schlesischen Piasten, ihre Schlösser und Herrensitze, aber niemand sagt uns, dass schon Heinrich IV., gestorben 1290, in deutschen Büchern über Literatur als Minnesänger bekannt ist, als deutschsprachiger Troubadour, der seine Lieder in derselben Sprache vortrug, wie Walther von der Vogelweide, wie Hartmann von Aue, während polnische Liebeslyrik erst nach zwei Jahrhunderten entstehen und blühen sollte. Dies ist eine symbolische Gestalt in der Geschichte Schlesiens…

Es ist bekannt, dass die Westgrenze der Ersten Republik Jahrhunderte hindurch eine der friedlichsten und dauerhaftesten in Europa gewesen ist. Die Eroberungen des Kreuzritterstaates haben kaum einen Bruchteil der mittelalterlichen deutschen Geschichte ausgemacht. Dagegen schreibt man bei uns nicht gern davon und erinnert nicht gern daran, was wir zivilisatorisch und kulturell den Deutschen verdanken. Dass Dach und Ziegel, dass Maurer, Drucker, Maler, Schnitzer, dass Hunderte polnischer Wörter beweisen, was wir unseren Nachbarn von jenseits der westlichen Grenze verdanken. Der schöne Erwerb an Architektur und Bildhauerei, Malerei und anderen Werken der Kunst und des Handwerks in Krakau und vielen anderen Städten und Städtchen Polens, nicht nur im Mittelalter, sondern zum Teil auch später bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, sie sind zum großen Teil Werke von Deutschen, die sich hier niederließen und unsere Kultur bereicherten. Fast jeder Pole weiß von Veit Stoß – nicht jeder weiß, dass er ethnisch Deutscher war… viele bilden sich ein, er sei Pole gewesen, und sind bereit, jeden zu ohrfeigen, der dem widerspricht – niemand aber, außer Spezialisten, kennt die Hunderte, ja Tausende Vor- und Familiennamen schöpferischer Deutscher, die unverwischte Spuren in unserer Kultur hinterlassen haben.“

Aus: www.potsdamer-konferenz.de/verstaendigung/briefwechsel-1965


6. Kritik an der Initiative

In Polen war dieser Brief jedoch ein Tabubruch: Es herrschte Unverständnis, wie man den Deutschen vergeben und um Vergebung bitten konnte, sagt Pękala: „Die Bischöfe wurden als Verräter bezeichnet. Man warf ihnen Einmischung in die Politik vor.“ Es folgten antikirchliche Kampagnen, mit denen das kommunistische Regime das Vertrauen in die Kirche erschüttern wollte.

„In den Archiven finden wir dramatische Zuschriften, die von der tiefen Verletztheit der Menschen zeugen, die traumatische Erfahrungen im Krieg gemacht hatten.“

Monatelang mussten sich die polnischen Bischöfe erklären. Zudem fiel die Antwort der deutschen Bischöfe vom 5. Dezember 1965 sehr zurückhaltend aus: „Inhaltlich haben sie dem Brief entsprochen“, sagt der Kölner Archivleiter Oepen, „aber der Tonfall wurde als übermäßig diplomatisch wahrgenommen und mit Rücksicht auf die Heimatvertriebenen sprachen sie die Oder-Neiße-Linie nicht an. Das war der weiße Elefant im Raum.“

Die polnischen Bischöfe waren enttäuscht, dass ihre Amtsbrüder die Anerkennung der polnischen Westgrenze ausklammerten – anders als die Evangelische Kirche Deutschlands in ihrer kurz zuvor im Herbst 1965 erschienenen Ost-Denkschrift.

Aus: www.domradio.de/artikel/60-jahre-polnisch-deutscher-versoehnungsbrief


2 Antworten

  1. Anonym sagt:

    „Hat die polnische Nation einen Grund, unseren Nachbarn um Vergebung zu bitten? Sicherlich nicht. Wir sind überzeugt, dass wir als Nation im Laufe der Jahrhunderte dem deutschen Volke kein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Unrecht getan haben.“ Diese Version des Hirtenschreiben der polnischen Bischöfe an die Gläubigen des Landes (vom 10.2.1966) ist wahrscheinlich der deutschen Öffentlichkeit nicht bekannt. Wenn das die Grundlage der deutsch-polnischer Normalisierung der Beziehung sein sollte, dann müsste das ganze System hinterfragt werden.

    • br sagt:

      Es ist bezeichnend, dass die offizielle deutsche Politik und die deutschen Leitmedien das Schicksal deutscher Opfer kaum je berücksichtigen. Aus der Perspektive des Auslands würde eine solche Betrachtung aller Opfer als politisch inkorrekte Rechtfertigung und Relativierung der deutschen Schuld aufgefasst werden. Trotz der vergangenen 80 Jahre leben wir immer noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Siegermächte bestimmen weiterhin die moralischen Grundsätze und beherrschen alle innerdeutschen Debatten. Eine „Freigabe“ des Diskurses würde für die Siegermächte große Gefahren bergen, denn dann müssten sie sich womöglich für ihre damalige Politik rechtfertigen – und wer will schon Verantwortung übernehmen.

      In der medial-politischen Debatte wird stets von deutscher Schuld ausgegangen und es werden nur die Opfer des NS-Systems thematisiert. Selbstverständlich wagt niemand, die Bestimmungen der Alliierten zu hinterfragen, obwohl diese eklatant gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte verstoßen und alle Grundsätze von Gerechtigkeit und Moral sowie christlich-religiöse Gebote und Verbote missachten.
      Heute redet man offen über eine regelbasierte Weltordnung. Dabei werden das Völkerrecht und die Menschenrechte bei der politischen Rechtfertigung nicht mehr beachtet. Die Regeln werden je nach Lage kurzfristig und beliebig umdefiniert und der Öffentlichkeit als die einzig richtigen und zum gegebenen Zeitpunkt geltenden präsentiert. Genau so ist „man” auch damals vorgegangen. Wann? Nach 1918 in Versailles, im neu gegründeten polnischen Staat und vor allem nach 1945 bei der besonders harten Behandlung aller Deutschen, insbesondere der Ostdeutschen.
      Die polnischen Bischöfe haben die christlichen Prinzipien, für die sie stehen, verraten und damit ihre Glaubensleere bewiesen.
      Dies wird durch die folgenden Formulierungen deutlich:

      „Die tausendjährige Geschichte des katholischen Polens beweist, dass der Klerus mit den Bischöfen an der Spitze immer von dem Geiste einer gesunden Vaterlandsliebe durchdrungen war und diese immer wieder kraftvoll förderte.“
      „Wir wissen sehr wohl, dass für die ganze Nation das Territorium des Vaterlandes eine Voraussetzung für die Existenz des Staates als solchen ist. Wir haben das Problem unserer Grenze an Oder und Neiße nie zur Diskussion gestellt, da wir unseren gegenwärtigen Besitzstand als eine Frage von „Sein oder Nichtsein“ unseres Staates ansehen.„
      „die maßgeblichen Kreise davon Abstand nahmen, uns eines antinationalen und eines im Gegensatz zu den Staatsinteressen stehenden Vorgehens zu beschuldigen. Diese gesunde Einstellung entspricht einzig und allein der polnischen Staatsraison. Alle anderen Behauptungen, die uns Bischöfe als Gegner des heutigen Besitzstandes Polens darstellen, können nur dazu beitragen, der eigenen Sache Schaden zuzufügen.“
      „Wir alle waren Zeugen eines Völkermordes, der vor Jahren unser Land heimsuchte. Die Mehrheit der damaligen Bischöfe und polnischen Priester musste Konzentrationslager, Gefängnisse und verschiedene Bedrängnisse erleiden.“
      „Wir sind überzeugt, dass wir als Nation im Laufe der Jahrhunderte dem deutschen Volke kein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Unrecht getan haben.“
      „Wir sind überzeugt, dass, wenn auch nur ein einziger Pole sich als unwürdiger Mensch erwiesen hat, … wenn wir eine Nation von edelgesinnten und großmütigen Menschen sein wollen„

      Diese Zitate sind an sich aussagekräftig genug und bedürfen keiner weiteren Kommentierung.

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